Mein sehnlichster Wunsch ist in Erfüllung gegangen: Ich habe einen neuen Job! Sechs lange Jahre in einer großen medialen Seifenblase ohne Substanz, dafür mit viel Glanz und Schmiere liegen hinter mir. Seit meinem ersten Tag (heute war der dritte) staune ich im Minutentakt Bauklötze. Zum Beispiel, weil es Unternehmer gibt, die es schätzen, wenn Mitarbeiter sich zu Abläufen und Problemen Gedanken machen. Weil jeder Mitarbeiter seine Anrufe selbst entgegennimmt. Und nicht zuletzt, weil es warmes Wasser in der Damentoilette gibt.
So weit, so gut. Weniger gefällt mir die Entwicklung im öffentlichen Nahverkehr Bayerns. Die S-Bahn und ich, uns verbindet schon lang eine Hassliebe. Zu viele Pannen, Ausfälle und Verspätungen in den vergangenen zwölf Monaten lassen mich derzeit mit einem Fahrzeugtausch liebäugeln. Dass ich von Dachau nach München meist zehn Minuten mehr benötige als laut Fahrplan vorgesehen, ist normal. Am Montag, meinem ersten Arbeitstag im neuen Job, war ich satte zwei Stunden unterwegs. Start: Dachau Bahnhof. Ziel: Frankfurter Ring, München. Die S-Bahn hatte zwanzig Minuten Verspätung, die U-Bahn fuhr sporadisch etwa alle fünfzehn, dafür war sie brechend voll und man benötigte drei Anläufe, bis der Frust groß genug war, dass man sich mit Einsatz aller zur Verfügung stehenden Leibeskräfte in die Menschenmasse hineinzwängte. Und die abschließende Busfahrt? Rote Wellen und Baustellen sind eigentlich keiner Erwähnung mehr wert . Nett ist es, wenn man die Gespräche der Mitreisenden verfolgt. Wenigstens dadurch weiß ich: Ich bin mit meinem Kummer nicht allein! In der Presse ist ständig zu lesen, wie toll unsere Bahnbosse und Bürgermeister und sonstige Pappnasen alles rund um die Öffentlichen finden, und wie gut die Resonanz bei den Befragungen zur Zufriedenheit stets ausfällt. Ich wurde übrigens noch nie befragt. Wahrscheinlich sind diese Meinungsforscher nachts um halb zwei unterwegs oder Sonntag früh um sieben.
Doch es gibt Hoffnung. Einzelne Tageszeitungen berichten inzwischen über den einen oder anderen S-Bahn-Ausfall, manche gar über die überfüllten Untergrundzüge zu Ostern. Und Welt online verrät mir heute, woran die Probleme der S 2 liegen, und wann Besserung in Sicht ist. Die ICE-Strecke zwischen Nürnberg und München soll im Bereich um Dachau und Petershausen besser ausgebaut werden, damit der ICE dort künftig rund zwanzig Kilometer pro Stunde schneller fahren kann. Voraussichtlich zum Jahr 2014 sollen die Arbeiten beendet sein. Dann ist Otto-Normal-ICE-Fahrer zehn Minuten schneller von Nürnberg nach München. Ist das nicht phantastisch? Applaus, Applaus, Applaus! Rund (!) zehn Minuten Zeitersparnis pro ICE. Übersetzt man das Bahndeutsch in reale Werte, dürfte bis zum Jahr 2016/17 vielleicht Besserung in Sicht sein. Vielleicht auch nicht, denn bis dahin wird Stuttgart 21 eine so gewaltige Baustelle sein, dass alle verfügbaren finanziellen und personellen Kapazitäten der Bahn aus ganz Deutschland abgezogen und in der Schwabenmetropole eingesetzt werden. Und selbst wenn tatsächlich ab 2014 der ICE zehn Minuten schneller von Nürnberg nach München fährt, stehen dem gegenüber tausende von Pendlern in und um München, die unter inzwischen mehrstündigen Verspätungen morgens zur und abends von der Arbeit nach Hause leiden. Nicht nur hier: Auch sämtliche Regionalzüge, andere S-Bahnstrecken und die Stellwerke von hier bis Markt Redwitz sind selbstredend in dieses Bauvorhaben involviert.
Wäre da nicht das warme Wasser auf der Toilette, ich könnte schwören, ich befinde mich in einer Region mit Null komma eins Einwohnern pro Quadratkilometer, in einem Land, wo sieben Tage über zehn Grad Celsius Sommer heißen, wo man für Sonntagsbrötchen einen Privatjet braucht. Vielleicht 65 Grad Nord, 174 Grad West auf unserem Planeten. Oder auch ganz woanders. Jedenfalls in einer Region, wo meteorologische und kulturelle Umstände eine funktionierende Infrastruktur nicht so richtig zulassen. Wissen Sie, was ich meine?
Nachtrag: Heute bin ich mit dem Auto zur Arbeit gefahren. Inklusive Sitzheizung, etwa dreißig Radiosendern, ein paar hundert Liedern auf dem USB-Stick, einer freundlichen Navigatorin, Lordosestütze, Rückfahrkamera, automatisch abblendenden Scheinwerfern, einem Panoramadach mit Blick zur Sonne - und in zwanzig Minuten vom Start zum Ziel. Das Leben kann so schön sein.
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