Fußball Europameisterschaft 2004, Portugal: Der Karikaturist nimmt den deutschen Trainer aufs Korn. Rudi Völler skizziert die erfolgversprechendste Aufstellung der deutschen Mannschaft auf einem Blatt. Untertitel: "So könnte es klappen". Auf dem Blatt steht elfmal der Name „Kahn“, einmal im Tor und zehnmal über eine Spielfeldhälfte verteilt. Seinerzeit schied Deutschland nach der Vorrunde aus.
In Deutschland wurde gespottet und gehöhnt. Alle Moderatoren wussten es besser und am allerbesten natürlich das Blatt mit den vier Großbuchstaben. Zuviel unerfahrene Neulinge, alles völlig falsch geplant, altmodische Taktik und so weiter. Nach dem Kader der Altgedienten von 2000 das genaue Gegenteil: Jugendfußball. Rudi Völler trat nach dem frühen Ausscheiden dann auch brav zurück. 2002 war es schließlich nicht viel besser gewesen, trotz Finale: Die Mannschaft zu alt, die Spielweise nicht pfiffig genug, der eine zu groß, der andere zu langsam, der dritte zu blond. Richtig machen kann es uns keiner. Jürgen Klinsmann sorgt zwei Jahre später für die große Überraschung mit dem dritten Platz bei der WM 2006. „Ein Sommermärchen“, jubeln die Gazetten. Selbstverständlich erst nach dem Erreichen des Halbfinales. Davor wurde die übliche Häme über jenen Trainer ausgeschüttet, der als Notnagel für einen der meistkritisierten Jobs der Welt herhielt. Da muss eine Mannschaft mindestens den dritten Platz machen, bis die Anerkennung kommt. Dann jubeln, nach viel Kritik, plötzlich alle über die jungen Wilden Deutschlands und den super Job, den „Klinsi“ macht. Allein dieser Kosename entwertet doch jedes Lob! Seine Spieler waren übrigens zu einem Großteil die gleichen, die Völler zwei Jahre vorher eingesetzt hatte, zum Beispiel Lukas Podolski, 2006 gerade mal 21 Jahre jung, Bastian Schweinsteiger (20), Philipp Lahm (21) und Miroslav Klose, damals 26 Lenze zählend. Jürgen Klinsmann hatte trotz Märchen nach der monatelangen verbalen Dresche die Nase voll und suchte sich hernach einen dankbareren Job. Trainer beim FC Bayern München entspricht diesem Kriterium zwar nicht wirklich; aber das weiß er inzwischen auch.
2012: Fußball Europameisterschaft, Polen: Joachim Löw sinniert über die beste Aufstellung seiner Mannschaft. Die Namen rotieren, dass den Gegnern schwindlig wird. Zur Verfügung stehen lauter Ausnahme-Talente, heiß begehrt von namhaften Vereinen, souverän und hochmotiviert. Die Chancen des deutschen Kaders sind bestens, und jede Position ist doppelt mit einem erstklassigen Spieler besetzt. Eine Situation, von der jeder Trainer träumt! Ganz abgesehen von zahllosen europäischen Vereinsoberen, für die nach dem Finale die Shopping-Saison beginnt. Den Erfahrungen der vergangenen Jahre nach dürfte der Marktwert einiger deutschen Spieler in den kommenden Wochen deutlich steigen.
Und was sagen wir dazu? Wie äußert sich die deutsche Presse? „Müller bangt um seinen Platz in der Stamm-Elf“, „Gomez gegen Klose - wer setzt sich durch“ oder „Schweinsteiger: Note 5“ sind noch die freundlichsten Schlagzeilen. Es wird geunkt und orakelt und mies gemacht. Unsere Journalisten schreiben von „Zittersiegen“ und „knappen Ergebnissen“ - bei vier gewonnen Spielen im Turnier und fünfzehn Siegen in den Pflichtspielen davor. Das eine oder andere lobende Wort ist auch dabei, doch niemals frei von Skepsis und zahllosen „Ojes“ wegen unserer Angst-Gegner.
Die Journalisten können von Glück sagen, dass Joachim Löw nicht mein Temperament hat. Ich würde bei jeder Pressekonferenz mit James-Bond-Regenschirmen auf sie losgehen.
Und: Leute, entspannt euch! Es ist ein SPIEL.
Die Iren wurden nach drei Niederlagen in der Vorrunde von ihren Fans eine Viertel Stunde lang besungen. Genau das sollten wir auch tun, ganz egal ob das deutsche Team in den nächsten beiden Spielen gewinnt oder verliert. Wer Einsatz zeigt, hat Anerkennung verdient. Ich bin stolz auf eine so hervorragende Mannschaft und einen Trainer, der jeden seiner Spieler optimal einsetzen kann. Welcher Chef kann das von sich behaupten? Der Rest ist reine Form- und Glückssache. Das Recht auf einen Schnitzer hat jeder von uns. Der Unterschied ist, dass es keine acht Zentimeter großen Buchstaben in der Tagespresse auslöst, wenn ich vergesse, den Geschäftsführer zum Meeting einzuladen.
Falls Miro Klose und die anderen Jungs (sie sind übrigens ein Team, ganz egal, wer auf dem Platz steht) verlieren, und jemand trotzdem ganz laut singt, so wie die irischen Fans für ihre Mannschaft gesungen haben: das bin ich.
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