Irgendwo habe ich mal gelesen, bei Facebook sucht man die Leute, die man früher nicht ins Bett bekommen hat.
Daran ist sicher etwas Wahres. Allerdings war ich bislang nicht sonderlich erfolgreich bei der Suche. Viele Flammen hatte ich nicht, und die wenigen, so scheint es, sind an virtuellen Freundschaften nicht interessiert. Vielleicht haben sie sich auch so lustige Namen wie HansweißderKuckuck oder FreddyonElmStreet gegeben. Außerdem gibt es noch mehr unentdeckte Schätze aus Kindheit und Jugend zu heben. Was wurde aus dem alles überstrahlenden Star der neunten und zehnten Klasse, aus meiner ehemals besten Freundin aus dem Dorf meiner Oma (mit der ich eine Woche lang gespielt habe und dann nie wieder) oder aus der japanischen Austauschstudentin, die unsere Familienstreitigkeiten während ihres Aufenthalts mit stoischem Blick ertragen hat.
Es gäbe so viel Interessantes zu entdecken: Namen von früher, die man einmal gehört hat, flüchtige Begegnungen, Schulkameraden, die nach der fünften Klasse weggezogen sind, und Freunde, die man irgendwann zwischen Studienbeginn und erstem Kind kennengelernt und wieder aus den Augen verloren hat. Die Geschwister meiner Schulkameraden (nur die älteren versteht sich!). Alte Freunde meiner Brüder, deren Namen mir seit dem Kindergarten im Gedächtnis sind, jedoch weder Gesicht noch markante Eigenschaften. Der boxende Diakon, bei dem mir als Zehnjähriger die ersten Zweifel am Katholizismus und seinen Regeln kamen.
Eigentlich müsste man diese Menschen doch finden, denke ich immer. Ist heutzutage nicht jeder Zweite ein C- oder D-Promi? Haben nicht neun von zehn Personen ihre eigene Homepage, mit Vita, Erfolgsstory und Referenzen? Immer mal wieder fällt mir ein Name ein, ein Gesicht von früher, und ich frage mich: Was aus dem wohl geworden ist?
Kurzum, sie sind nicht auffindbar. Was in den meisten Fällen vielleicht auch besser so ist. Tatsächlich finde ich nämlich die wenigsten Leute im Netz. Es sind Schatten der Vergangenheit, dazu bestimmt, ewige Mysterien zu bleiben.
Schade, denke ich im ersten Moment. Gefolgt von einer gewissen Beruhigung, dass wir trotz Internet und weltweiten Suchmaschinen nicht problemlos alles über jeden in Erfahrung bringen können. Immerhin wäre dies dann auch in die umgekehrte Richtung möglich: Everybody‘s brother ist watching you! Wer will das schon? All die Freaks, die sich mit runtergelassener Hose in der Öffentlichkeit präsentieren, ich weiß. Jedoch erhärtet sich mein Verdacht, dass es daneben sehr viele gibt, die nicht mitmachen beim großen Exhibitionismus-Ringelreihen. Vielleicht sind sie sogar in der Mehrheit. Menschen, die diese Form des Sichpräsentierens nicht praktizieren. Die nicht ihr ganzes Leben einschließlich der Familie, ihrer Freunde und des Arbeitgebers lauthals in die Welt zwitschern oder brüllen. Nicht-Wissen kann auch eine Gnade sein: Der einst begehrteste Junge meines Heimatdorfes hat heute dreißig Kilogramm zu viel um die Leibesmitte, einen fehlenden Eckzahn und eine Familie, die ihn nur noch in Form des zu zahlenden Unterhalts interessiert.
Und wen die Neugier zu sehr treibt, der sollte sich bei jemand anderem live nach dem Verbleib der Person erkundigen. Ganz klassisch, wie in den alten Krimis: Mein Grundschulheld ist Arzt geworden; ein Idol aus Jugendtagen tödlich verunglückt. Der Schulkamerad meines ältesten Bruders, der vom Bonanza-Rad bis zu den Skiern mit Paraplug alles als erster besaß, ist vor einigen Jahren an einer Überdosis Drogen gestorben. Und der Diakon entschied sich gegen das Sakrament der Priesterweihe - und für die Ehe. Immerhin.
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