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Dienstag, 8. November 2011

Flinke Finger

Kennen Sie Yuja Wang? Ich auch nicht, jedenfalls nicht persönlich. Aber es gibt sie wohl wirklich. Ich habe sie gesehen. Und gehört: auf YouTube. Man findet kaum Informationen über die Frau, dafür jede Menge Musikvideos ihrer Live-Auftritte. Es handelt sich um eine chinesisch-stämmige Pianistin, vierundzwanzig Jahre jung und einfach grandios.
Als ich die ersten Aufnahmen gesehen habe, war ich mir sicher, es sei noch ein zweiter Flügel im Einsatz. Kein Mensch kann allein alle diese Tonfolgen und Harmonien spielen. Auf nur einem Instrument. Dachte ich. Mehrere Videos später gelangte ich zu dem Schluss: vielleicht doch. Wie, ist mir allerdings nach wie vor ein Rätsel. Verglichen mit dieser Fingerfertigkeit ist die Bezeichnung „stümperhaft“ für das, was ich gelegentlich am Klavier fabriziere, noch Lobhudelei. Yuja Wang spielt, als hätte sie zwei Finger mehr als andere Menschen, und doppelt so lange außerdem.
Musiker sind für mich schon immer die Künstler gewesen, die ich am meisten bewundere. Ein Instrument derart zu beherrschen, dass es stundenlang unterhält, ohne langweilig oder nervtötend zu werden, ist etwas, was einem keiner beibringen kann, wenn die nötige Begabung fehlt. Man muss dazu geboren sein, sonst bleibt man immer nur zweitklassig - bestenfalls. Übung macht den Meister, ohne Frage. Aber fehlendes Talent kann in der Musik nicht kompensiert werden. Niemals. Sehen Sie sich Yuja an, dann wissen Sie, was ich meine. Bei solchen Menschen bin ich nicht mehr zu Neid fähig, da staune ich einfach nur noch, was man mit achtundachtzig Tasten vollbringen kann. Ich sehe meine Hände an und frage mich, ob wir wirklich zur selben Gattung gehören, sie und ich. Warum sind manche Menschen so unglaublich begnadet? Haben wir wirklich die gleiche Grundausstattung?
Vielleicht ist das die Ursache für meine Faszination: Auf Musiker bin ich tatsächlich ein wenig eifersüchtig; diese Begabung hätte ich auch gern. Es müsste gar nicht die Riesenportion sein. Ein Teil davon wäre schon eine immense Verbesserung zu jetzt. Statt dessen bin ich hundert Prozent Durchschnitt, ein Teil der grauen Masse.
Es gibt viele herausragende Begabungen, nicht nur im musischen Bereich. Doch die anderen empfinde ich bei weitem nicht derart fesselnd.
Irgendwann dieser Tage spielt Yuja in München, praktisch vor meiner Haustür. Leider sind Konzerte für mich derzeit beim besten Willen nicht drin. Mein Wecker klingelt um sechs, die Kinder wollen um halb sieben Frühstück - ich würde irgendwann schlichtweg einschlafen, und sei der Vortrag noch so wild.
Gut, dass es Menschen gibt, die frühzeitig erkannt haben, wie dieser Überschuss an Können der einen uns anderen, den Normalos, zugutekommt, ohne dass wir uns die Nächte um die Ohren schlagen und extra durch die Welt jetten. Früher in Form von Schallplatten, heute digital, kann ich mir solch unglaubliches Talent ganz entspannt und höchst aufmerksam zuhause anhören. Immer und immer wieder. Ach ja, und Weihnachten ist auch bald. Da ich ohnehin nie bekomme, was ich mir wünsche (sondern Fahrradpumpen, Werkzeuge oder unförmige Männer-Shirts), beschenke ich mich einfach selbst. Zum Beispiel mit einer CD. Raten Sie mal, von wem.

2 Kommentare:

  1. Ja, es gibt sie wirklich, ich habe sie lebendig gesehen und gehört, nicht nur elektronisch.

    Es stimmt aber nicht, dass man wenig über sie erfährt, das Internet liefert recht viele Informationen, auch einige köstliche Interviews. Ihr Lachen ist übrigens fast so umwerfend wie ihr Spiel - zum Beispiel hier: http://www.youtube.com/watch?v=FVdpnGrmtlc
    Was sie sagt, ist hier vielleicht nicht so bedeutend - aber wie sie es sagt! Es gibt jedoch viel ernsthaftere Interviews.

    Mein persönliches Lieblingsvideo ist dieses da:
    http://www.youtube.com/watch?v=aQKWHMKvyAk

    Kurz: ich fahre völlig ab auf diese Frau und komme mir ein bisschen vor wie die jungen Mädchen, welche Justin Bieber anhimmeln. Ich denke aber, dass wir noch länger von Yuja hören werden als von Justin.

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