Als ich volljährig war, konnte ich endlich reisen, in die Welt hinaus, wohin der Wind mich trug, wie lange ich wollte. Und das Geld reichte. Wir schreiben die frühen neunziger Jahre, es gab noch keine Zwanzig-Euro-Flüge und das Internet steckte in Babyschühchen. Also ging es im Sommer für ein paar Tage nach Südtirol. Meine Freundin war schon mit eigenem Auto mobil. Und es wurde immer ein Erlebnis! Fahrradtouren, Wanderungen, Bummeln und Disco-Besuche, wir hatten unseren Spaß und kamen braun gebrannt und glücklich heim.
Später, mit meinem Mann, unternahm ich Motorradtouren. Die Distanzen wurden größer: Unsere Reiseziele hießen Elba, Sardinien oder Südfrankreich; die Unterbringung erfolgte im Zelt oder unter freiem Himmel. Wir fuhren irgendwann los, irgendwann weiter und irgendwann heim. Dazwischen lagen Tage mit viel Spritverbrauch und wenig Kultur. Geplant war bis auf die ungefähre Route gar nichts. Da wir in der Nebensaison reisten, stand uns für gewöhnlich überall die ganze Zeltwiese zur Verfügung, vom Bodensee bis Barcelona. Ruhe und Erholung pur!
In den letzten Jahren sind unserem exklusiven Freizeitclub zwei neue Mitglieder beigetreten. Die Urlaube finden in den Schulferien statt und Shoppingtouren mutieren zur vierfachen Null-Lösung. Ich gebe zu, das vermisse ich. Dafür residieren wir auf gut besuchten Campingplätzen mit jeder Menge anderer Familien und verbringen die Abende nurmehr selten einsam vor dem Zelt.
Am liebsten fahren wir zum Kalterer See. Dort erleben wir bei jedem Aufenthalt interessante und amüsante Begegnungen und faszinierende Momente. Im vergangenen Urlaub zum Beispiel ganze Kolonnen schwedischer Wohnmobile in Omnibus-Größe. Vielleicht wollten sie die Elche nicht allein zuhause lassen.
Warum man in Niederbayern den Saeco-Kaffeevollautomaten (und die vollständige Wohnungseinrichtung, Kinderzimmer inklusive) in einen Wohnwagen packt, wurde uns ausführlich bei einem Glas Wein erklärt. Verstanden haben wir es trotzdem nicht. Es gibt Dinge, die kann man nur staunend hinnehmen, hinterfragen ist zwecklos. Zwei Erwachsene, ein Kind, ein Renault Espace und ein Maxi-Caravan, eine zehnstündige Marathon-Fahrt und eine ebenso lange Aufbauzeit. (Vorzelt, Teppich für das Vorzelt, Schränke für das Vorzelt, Hängeregale für das Vorzelt, Küche für das Vorzelt, Einräumen der Möbel, Schränke, Regale und so weiter.) Seither wissen wir, wo man ganz in der Nähe den günstigsten Wein abgefüllt bekommt und - nicht ganz so nah - Espresso im Angebot, nämlich in einem Großmarkt am Gardasee. Was sind schon zweihundert Kilometer, wenn das Jahreskontingent an Kaffeepulver gedeckt werden muss.
Eigentlich ist Camping-Urlaub wie Schule, nur dass man fürs Leben lernt. Zum Beispiel Menschenkenntnis. Oder wie man sich ohne Eltern durchs Leben schlägt. (Lösung: Man lädt sich bei den Nachbarn ein.)
Und es gibt Highlights, die sind einmalig und nicht zu übertreffen. Lustige Abende mit Menschen, die man kaum kennt und trotzdem besser versteht als die eigenen Geschwister.
Eine Wagenburg von drei Familien hatte für den Nachwuchs ein extra Kinderzelt aufgebaut und dort einen Kino-Abend vorbereitet. Die Eltern besuchten eine nahe gelegene Hofschänke (die mit dem günstigen Abfüll-Wein), und das Kinderzelt war innerhalb weniger Minuten mit jeder Menge weiterer minderjähriger Besucher gefüllt, unter anderem auch den unsrigen und denen zweier Freundinnen. Die Kinder amüsierten sich bestens, gut versorgt mit Chips und Saft, wir Erwachsenen mit reichlich Wein und einer gewaltigen Kerze. Und alle, wirklich alle, waren zufrieden und glücklich. Wir diskutierten über die Schule, unser Rentensystem, Hochtouren im Gebirge und die Wirtschaftskrise. Thomas, ein temporärer Gast, bekam von Otto einen feuchten Kuss und versuchte beim Anblick unserer entsetzten Gesichter, uns von Ottos Kuschelqualitäten zu überzeugen. Es entspann sich eine lebhafte Diskussion. Thomas blieb allerdings in all seinen Versuchen, uns umzustimmen erfolglos. Ich fürchte, er war der Einzige, der später etwas frustriert zu Bett ging. Im Gegensatz zu uns. Und Otto, seiner neunzig Kilogramm schweren Dogge.
Unser Lieblings-Urlaubsstichwort zur Aufheiterung lautet „Kalterer See“.
Und nächstes Jahr geht‘s wieder hin. Spätestens!
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