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Donnerstag, 22. November 2012

Verkehr verkehrt

Es gibt Nachwuchs im deutschen Schilderwald. Wahrscheinlich wird den vielen ausrangierten Politikern (u. a. weggemobbte Ex-Präsidenten, Ex-Minister, Ex-Parteichefs) eine Beteilung an Warntafel-Herstellern angeboten zur Aufbesserung der schmalen Rente. Unsere Verkehrsbeschilderung ist derart dicht bepflanzt, dass einige Hinweistafeln heutzutage regelmäßig ignoriert werden. Park- und Halteverbot zum Beispiel sind zur Dekorationsware verkommen: Regelmäßig parken in diesen Bereichen Autos für Einkäufe, Friseurbesuche und dergleichen, gern mit Warnblinkanlage, und blockieren den Durchgangsverkehr, Einfahrten oder gleich die ganze Straße. Aber getreu dem Motto "unsere Stadt soll bunter werden" kommen fleißig neue Schilder dazu. An einer zweihundert Meter langen Stichstraße prangen seit voriger Woche vier neue Zeichen: "Fahrradstraße - Autos frei". Geändert hat sich am Verkehr dadurch freilich nichts. Warum auch? Täglich beobachte ich, wie Autofahrer konsequent bei Rot über die Ampel fahren. An einem Zebrastreifen für Fußgänger anzuhalten gilt als Kavaliersdelikt. Und wer von einem Polizisten auf ein Vergehen hingewiesen wird, beklagt sich monatelang über diese himmelschreiende Ungerechtigkeit. Regeln sind schließlich dazu da, gebrochen zu werden. Das schönste Bonmot stammt von einer Mutter aus der Kindersport-Gruppe: „Mit sechzig km/h darf man in der Stadt nicht fahren. Da ist man ein Verkehrshindernis!“ Sie fährt deshalb immer achzig. Dies scheint eine weitverbreitete Meinung unter Müttern zu sein: Jeden Morgen rasen Dutzende von Autos durch Wohngebiete und gepflasterte Altstadtbereiche und halten mit quietschenden Reifen direkt an der Schultür, damit Kinder nicht dem gefährlichen Straßenverkehr ausgesetzt werden.
Vor kurzem hat mein Sohn die Fahrradprüfung abgelegt. Wir trainierten brav auf dem Verkehrsübungsplatz, besonders das Linksabbiegen - stets begleitet von meinem Mantra: „Das musst du in der Prüfung genau so machen. Und danach bitte NIE MEHR WIEDER!“ Denn die theoretische Verkehrserziehung von Schülern bedeutet in der Praxis schlichtweg permanente Lebensgefahr für die Kinder - weshalb kein einziger Praxistest Realverkehr mit Lehrern und Polizei stattgefunden hat! 

Warum ich eigentlich auf „Verkehrten Verkehr in Germany“ gekommen bin, hat aber einen ganz anderen Hintergrund: die Geisterfahrer. Sämtliche Medien überschlagen sich derzeit in Berichten über diese bevorzugt als Horror-Unfälle betitelten Tragödien. Unglücksfälle mit mehreren Toten und verursacht von lebensmüden, geistig verwirrten oder alkoholisierten Falschfahrern, geben sich fast täglich die Trauerschleife in die Hand. Interessanterweise taucht in diesem Bereich nie der Begriff Nachahmungstäter auf. Bei der Bahn wird konsequent darauf verzichtet, Selbstmörder als solche zu titulieren aus Angst, es könnten auch andere die Idee aufgreifen. Bei psychisch kranken oder unzurechnungsfähigen Menschen, die auf der falschen Fahrbahn in den Tod rasen dagegen hofft man, sie durch zusätzliche Schilder von ihrem Vorhaben abzubringen.
Angeblich läuft in Bayern seit einiger Zeit ein groß angelegter Feldversuch mit neonfarbenen Warntafeln, die eine falsche Einfahrt kennzeichnen sollen. Ergebnisse liegen demnächst vor, heißt es.
Ich habe bisher kein einziges dieser Schilder gesehen. Das mag an meinen eher sporadischen Autobahnfahrten liegen. Was mich bedenklich stimmt, ist: Wird solchen Menschen ihr Vorhaben nicht zusätzlich erleichtert durch eine Tafel, die auf die falsche Einfahrt aufmerksam macht?



Wie kann man überhaupt den Erfolg von etwas Nicht-Existentem messen? Woran erkennt man den Erfolg einer solchen Beschilderung? Vielleicht so: Die Tafeln wurden aufgestellt, und danach abgezählt, wie viele Fahrer nicht falsch auf die Autobahn gefahren sind. Das Ergebnis kann ich mir denken: Ein bisschen Neonschrift schützt effektiv vor geistig unzurechnungsfähigen Menschen. Für solche Schönrechnungen wird unser Verkehrsminister irgendwann in die Geschichte eingehen.

... Und wenn es Schilder „STOP FALSCH“ gibt, müssen dann nicht auch noch welche aufgestellt werden: „HIER RICHTIG“? Sonst könnten sich potentielle Geisterfahrer diskriminiert fühlen!

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