Die Herausforderungen des Alltags bringen mich immer wieder an meine persönlichen Grenzen. Nicht leistungsorientiert, sondern in kommunikativer Hinsicht bin ich häufig vollkommen ratlos, was ich machen soll. Wie geht man mit der stetig steigenden Zahl der Super-Muttis um, die ungefragt überall ihren Senf dazugeben, alles besser wissen und aus dem Alltag von Kindern einen regelrechten Dauerwettstreit machen? Ich nenne sie nur noch Projekt-Mütter. Damit meine ich Frauen, die ihre Kinder nach einem Businessplan großziehen, mit individueller Förderung und optimaler Ressourcennutzung ab der Empfängnis, 24 Stunden am Tag. Durch Mamas Bauchdecke sowie geburtsbegleitend Mozartklänge, frisch geschlüpft ab zu PEKiP, Musik-Garten, Sportförderunterricht und in den „Früh übt sich: Wissenschaft für junge Talente Club“. Ab Kindergartenalter sind dem Leistungswahn keine Grenzen mehr gesetzt, egal ob Sport, Musik oder andere Bereiche - für alles gibt es Bambini-Gruppen, um nur ja kein Talent zu vergeuden. Engländer nennen ihre Kleinkinder Toddler, was nicht nur ausgesprochen nett klingt, sondern die Entwicklung lautmalerisch beschreibt. Toddler klingt nach unsicheren Schritten, stolpernd die Welt erobern und staunend um sich blicken. Bei uns hingegen besteht diese Altersgruppe aus den Nobelpreisträger von übermorgen, belauscht man die Gespräche der zugehörigen Eltern. Und wenn schon kein begnadeter Wissenschaftler, so ist ein Fußball- oder Tennisstar doch das Mindeste, was die ehrgeizigen Projektleiter mit ihrem Power-Programm heranziehen.
Ganz ehrlich: ich möchte mir das Zusammenleben mit einem Superhirn gar nicht vorstellen. So ein kleiner durchtriebener Perfektionist, der alle meine Fehler sofort bemerkt und mich irgendwann anzeigt, wie in George Orwells 1984. Mir reichen normale, altersgerecht entwickelte Kinder, wie es im Fachjargon so schön heißt. Die bringen uns träge Erwachsene oft genug durch aufmerksames Beobachten und Nachfragen in so manch unangenehme Situation. „Wieso wolltest du dich gerade vor der Mama von Lukas verstecken? Warum darf ich nicht lügen? Du sagst zu Leuten am Telefon doch auch immer, dass du unterwegs bist, obwohl es nicht stimmt ...“ Wer mit halbwegs gesundem Verstand wünscht sich bitteschön ein Genie zum Kind? Albert Einstein hielt seiner Frau einen Vertrag unter die Nase, der ihr schriftlich untersagte, ihren Gatten von sich aus anzusprechen. Ich bezweifle, dass er als Kind umgänglicher war. Soziale Kompetenz sieht in jedem Fall anders aus. Selbst wenn die Ellbogen-Erziehung spürbar zunimmt („Lass dir nichts gefallen und sieh zu, dass du immer der Erste bist, egal, mit welchen Mitteln“), irgendwann bekommt jeder von uns zu spüren, dass andere Werte zählen.
Aber weil Tennisspieler und Fußballer oder sonstige Sternchen in kurzer Zeit richtig viel Kohle verdienen, wenn sie bekannt sind, also dann wenigstens das! Super Idee, ihr Lieben. Viel Spaß beim Coachen und Drillen. Und den wenigen, die erfolgreich sind, wünsche ich noch mehr Spaß bei den Folgen. Auch C- und D-Promis haben Eltern. Die schauen über Kabel und am Zeitschriftenkiosk zu, wie ihre Sprösslinge, einstige Super-Bobbels, Rekord-Lodders und Unten-Ohne-Sirenen nicht mehr die Courts, Plätze und Bühnen dieser Welt unsicher machen, sondern kaffeebraune, blonde und sonstige Schönheiten mit wenig IQ und viel Geltungsbedürfnis jagen oder traurige Schlagzeilen über Alkoholsucht schreiben. Stellen Sie sich einen Tag lang vor, das sind Ihre Kinder. Ehemals berühmt, jetzt zum eigenen Abziehbild verkommen. Wer will schon täglich die dümmsten Zitate seiner Leibesfrucht lesen - schwarz auf weiß und dokumentiert für die Ewigkeit.
Meine Kinder diskutieren über das richtige Shirt für die Schule, die Schuhe, das Frühstück, das Abendessen, wann es Zeit fürs Zubettgehen ist, über den Spielzeugtag, das Aufräumen, lästige Körperpflege, Armbänder, die Farbe der Unterhose, zu weite Jeans, dicke Strümpfe, den vorzeitigen Schluss eines gemeinsamen DVD-Abends und tausend andere Kleinigkeiten. Jeden Tag. Irgendwann sind sie, wenn alles gut läuft, erwachsen, ziehen aus, haben ihr Leben selbst im Griff - und besuchen von Zeit zu Zeit ihre alten Eltern. Dazwischen ist Ruhe. Und kein Mensch liest irgendwelche Schreckensmeldungen über sie in der Zeitung. Wenn ich es mal so weit geschafft habe, bin ich richtig stolz auf mich!
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