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Samstag, 21. April 2012

Wa(h)re Kunst

Es gibt Menschen, deren Begabung muss man neidlos anerkennen und sich daran freuen. Ich bewundere Musiker, Schriftsteller und Bildende Künstler, und ganz besonders jene, die außergewöhnlich talentiert sind und mit dieser Gabe das Leben von uns Normalos bereichern. Allerdings reicht großes Talent allein nicht aus. Viel Arbeit ist auch vonnöten. Eigentlich...
Wir befinden uns dank moderner Medien in einer Phase, in der zwölfjährige Teenies allein durch ein paar verwackelte Filme aus dem chaotischen Kinderzimmer zu Millionären werden, und in der Casting-Shows - zumindest in Deutschland - nur existieren, um wehrlose Menschen der Lächerlichkeit anheimzugeben.
Dieter Bohlen verdankt einen Gutteil seines Vermögens der Naivität von Leuten, die glauben, dass Fernsehen echt ist, die für fünf Minuten Ruhm so viel Sangeskunst zeigen wie eine Rabe nach der dritten Stimmband-OP, oder die einfach nur fest daran glauben, dass das ein erfolgversprechender Weg zum Ruhm ist. (Erinnert sich heute noch jemand an "Fame"?)
In Schweden gibt es auch eine Art „Schweden sucht den Superstar“. Mit dem winzigen Unterschied, dass dort Menschen auftreten, die nicht nur singen können, sondern ernsthaft eine Künstlerkarriere anstreben und damit eine gute Basis dafür legen! Eine gewisse Amanda Jenssen hat dort vor ein paar Jahren den zweiten Platz belegt. Leider habe ich ihr Konzert in München vergangenes Jahr verpasst, aber ich hoffe, sie kommt bald wieder. Ich bin mir sicher, wir werden noch viel von ihr hören. Sie kann es einfach. Und sie arbeitet hart.
Ähnliches gilt für Sheryl Crow, Amy McDonald oder Zaz. Diese drei haben etliche Auftritte in Kaufhäusern, Kneipen und auf der Straße (ja, auf der Straße) hinter sich. Es gibt Momente, da ist sie mir ein bisschen unangenehm, die deutsche Staatsbürgerschaft. Könnte bitte mal jemand unseren Teenies sagen, dass es nichts „einfach so“ gibt? Dass es nicht reicht, einen guten Friseur und das richtige Handy zu haben? Und den zugehörigen Müttern auch? Wenn man eine normale Fünfzehnjährige in Ballerinas, Leggins und einem Neon-Netz-T-Shirt (wir schreiben das Jahr 2012) fragt, was sie werden möchte, gibt es meist zwei Antworten: Supermodel oder Superstar. Nachdem die Bild-Zeitung inzwischen erfolgreich alles unterhalb von Superlativen zum absoluten No-Go degradiert hat, kann es keine "gewöhnlichen" Stars mehr geben! Horror-Unfälle, Horror-Kälte, Horror-Bienen, umgeben von Super-Kickern, Super-Helden, oder, Schlagzeile vom 20.04.2012: „Super-Live-Samstagen“. Diese Stars, pardon, Superstars sind auch nicht mehr branchenbezogen, so wie früher! Supermodels sind gleichzeitig Moderatorinnen, Schauspielerinnen sind Kinderbuchautorinnen und Sängerinnen fristen ein zweites Dasein als Ärzte. Alles Superfrauen! Fußballer sind Models, Boxer nebenbei Tänzer und Sänger gleichzeitig Rennfahrer oder sonst etwas, das sich gut auf dem Titel von GQ macht. Das ist sie, die Generation „Justin Bieber“. Wofür zum Henker ist dieser Kinderschokoladen-Bubi eigentlich berühmt? Ich weiß es nicht! Ich gehöre zur Generation Golf: Wir sind die Urheber der Misere, weil Erzeuger dieser Generation, schreck lass nach!
Künstler, die für mich den Star-Statuts innehaben, also so bedeutend sind, dass man sich auch in zwanzig Jahren noch an sie erinnern wird, hatten sie, diese Auftritte in Dorfkneipen und Media-Märkten. Die meisten von ihnen haben in jungen Jahren für wenig Geld viel gearbeitet. Sie haben in Pommesbuden gejobbt (Roxette), sich mit Kaffee rasiert, weil es den umsonst nachgefüllt gab (R.E.M.) und beim örtlichen Rewe-Sommerfest moderiert (Wim Thoelke). Ja, das ist normal. Nein, es ist nicht normal, abends als No-Name ins Bett zu gehen, und am nächsten Morgen reich und berühmt aufzuwachen. Joanne K. Rowling ist keine Sozialhilfe-Empfängerin, die vom Blitz getroffen Harry Potter erfunden hat und tags darauf Dutzende Verleger abwimmeln musste, die ihr die Bude einrannten. Sie entstammt einem Akademiker-Haushalt und hat für die Veröffentlichung ihres Zauberlehrlings sie so viele Klinken geputzt, dass jeder Zeuge Jehovas bis heute ein Bild von ihr im Geldbeutel trägt.
Eine der wenigen Berühmtheiten, die von dieser zähen Anfangsphase verschont geblieben sind, sind die Beatles. Bis auf eineineinhalb der vier Pilzköpfe kamen alle aus sehr gutem, sprich reichem Elternhaus. Das ersparte den Kaltstart in der Fußgängerzone. Oder frei nach Grace Kelly: „We started on the top.“ Immerhin, sie war sich dessen bewusst. Eine kritische Selbstreflexion von John Lennon ist so wahrscheinlich wie ein Mudschaheddin, der sich zu seiner Transsexualität bekennt. Da hätte auch das Erreichen vom Alter des Methusalem nichts geändert. Vielleicht ist das der Grund, warum ich mit der Musik der Beatles nie etwas anfangen konnte: Sie ist mir zu kalt. Genauso wie Justin Bieber, Henna Mondäna und all die anderen, profillosen, hm, ja was eigentlich? Beim Wort Musiker streikt meine imaginäre Feder, ebenso bei dem Begriff Künstler. Andererseits ist es genau das, worum es heute geht: Wir wollen verschaukelt werden. Der Beste gewinnt: der beste Betrüger! Wir sind so manipulierbar, dass es wehtut. Duftdesigner gaukeln uns zehn Jahre alte Neuwagen vor und Photoshop die ewige Jugend, die nur durch ein bisschen Wasser und Seife erzielt werden kann. Wir haben es nicht besser verdient. Wir bezahlen jeden Monat einen Haufen Geld dafür, von vorn bis hinten belogen und betrogen zu werden.
Wenn Sie nicht wissen, was ich meine, schlage ich folgendes Experiment vor: Verzichten Sie vier Wochen lang komplett aufs Fernsehen. Und dann schalten Sie wahllos ins Vorabendprogramm. Zappen Sie ein paar Minuten durch. Und dann wissen Sie, wovon ich rede. Echt!

Und außerdem wünsche ich mir ein Remake von Fame, mit Madonna in der Hauptrolle.

1 Kommentar:

  1. Es gab mal Leute (noch gar nicht so lange her) die meinten, dass bei der Musik NUR "Techno" überleben wird. Alles andere wird aussterben...und jetzt? Was war eigentlich "Techno". Es gibt sicherlich viele (vor allem jüngere) menschen, die gar nicht wissen dass es sowas mal gab.
    Die Moral von der Geschichte: Es wird nach wie vor Handgemachte Musik (alt und neu) gespielt...d.h. das "Bodenständige" hat sich durchgesetzt. Und ich denke, dass sich das auch in vielen anderen Bereichen des Lebens durchsetzt. Beispiele? Gerne:
    - Wenige "echte" Freunde anstatt ~10000 bei Facebook
    - Brettspiele mit der Familie anstatt Ruhigstellen der Kinder am TV
    - Gutbürgerlich essen anstatt Fast Food, Sushi, ...
    - Mit dem Radl um den Bodensee anstatt Tauchurlaub auf den Malediven
    - Regional einkaufen anstatt Einkaufstripp nach New York
    - ...

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