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Freitag, 30. September 2011

Die segensreiche Erfindung des Fahrradhelms

Es gibt Dinge, die ändern sich nie. Meinen Eltern habe ich früher den einen oder anderen Schnitzer verschwiegen. Um ihnen Kummer zu ersparen. Und mir den Ärger.
Inzwischen bin ich erwachsen. Und nach wie vor ein Gegner der totalen Offenheit. Ich halte es da mit den östlichen Ländern. Warum soll ich meine Umwelt unnötig in Angst, Schrecken oder Ärger versetzen? Meine Kinder müssen nicht wissen, dass ich ab und zu (pssst!) rauche. Ganz heimlich und äußerst selten, vielleicht dreimal im Jahr. Was mein Mann alles nicht unbedingt zu wissen braucht, sprengt den Rahmen dieses Posts. Zumal es keine schlimmen Sachen sind. Weder Banküberfälle noch ermordete Großmütter oder die Affäre mit dem Musiklehrer meines Sohnes. Davon weiß er längst. Ich meine die kleinen Zwischenfälle, die, nun ja, praktisch folgenlos bleiben, niemandem Schmerzen verursachen und beim Entdecken nur unnötige Auseinandersetzungen hervorrufen. Mit dieser Philosophie bin ich übrigens nicht allein. Mein Bruder zum  Beispiel erzählt zuhause grundsätzlich nicht, wenn er zum Eisklettern geht. Ein Bekannter verschweigt seit Jahrzehnten seiner Umwelt erfolgreich, dass er schwul ist, und Merkel & Co verheimlichen vor uns so gut wie alles.
Heute habe ich meinen Sport vorzeitig abgebrochen. Die Trainingseinheit nennt sich Power-Workout und lebt von und mit schneller, lauter Musik und viel Bewegung. Was genau meinen Bedürfnissen Freitag abends nach einer stressigen Woche entspricht. Richtig austoben nannte man das früher. Als Frau über dreißig ist das mit dem täglichen Fangen und Verstecken spielen leider aus verschiedenen Gründen vorbei. Deshalb fließt mein Schweiß nur freitags, und dann in Strömen. Heute war unsere Trainerin verhindert und der Ersatz, eine groß gewachsene Mittfünfzigerin, ging direkt nach der Aufwärmrunde zum Pilatesprogramm am Boden über. Samt Meditationsmusik. An dieser Stelle sei erwähnt: Pilates erregt in mir ähnliche Gefühle wie morgendlicher Stop-and-Go-Verkehr. Ja, es ist effektiv und schonend und überhaupt ganz wundervoll - mich macht es jedoch nur furchtbar aggressiv. Unzählige Haltungsangaben, verschiedene Atemtechniken, auf die man achten soll, und bewegt wird dazu abwechselnd der rechte große Zeh oder das linke Knie.
Nach zehn Minuten bin ich also geflüchtet. Es folgte der übliche Wortwechsel: Warum ich ginge (weil ich Workout machen will und keine Zeitlupengymnastik), dass Pilates aber minnnn-destens genauso gut sei (ich mag es aber nicht; genau deshalb gehe ich zum Workout und nicht in Pilates). Ja, und dann stand ich da, mit all meiner überschüssigen Energie und einer enormen Wut im Bauch angesichts dieser blödsinnigen Diskussion. Erstens bin ich erwachsen und zweitens bezahle ich für diesen Sport. Warum muss mich rechtfertigen, wenn ich statt der erhofften Entspannung nur weiteren Ärger erlebe und deshalb vorzeitig aufhöre? Da die Halle direkt an einen großen Wald grenzt, wollte ich mich ersatzweise noch ein wenig mit dem Fahrrad austoben. Allerdings stellte ich schnell fest, dass angesichts der Dunkelheit auch dieses Programm wenig glückverheißend war. Frustriert machte ich mich auf den Heimweg, grummelnd und brummelnd und sinnierend - und fast forward, wie immer. Eine meiner Eigenheiten: Ich kann mich nicht langsam bewegen. Ich brauche Speed!
Schnell durch eine Stadt radeln und nebenher im Kopf diverse Kämpfe und Diskussionen ausfechten ist, man ahnt es, keine gute Kombination. An einer Kreuzung stieß ich mit einer anderen Radlerin zusammen. Ich bemerkte sie just in dem Moment, als wir, Räder und Pedale ineinander verhakt, abrupt zum Stehen kamen. Keinem von uns war etwas passiert. Ich entschuldigte mich mehrmals, weil ich dermaßen gepennt hatte. Und sie fragte mich netterweise, ob ich okay sei. So eine versponnene Mid-Agerin, mag sie gedacht haben.
Sie trug übrigens einen Fahrradhelm. Genauso wie ich. Und obwohl wir nicht gestürzt sind, bin ich im Nachhinein ausgesprochen froh über den Kopfschutz. Über ihren nebenbei bemerkt ebenso wie über meinen.
Den Unfall selbst habe ich zuhause bisher erfolgreich verschwiegen. Es gibt Dinge, die behält man besser für sich. Aber ich glaube, das erwähnte ich bereits.

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