Ein Mann springt aus vierzig Kilometern Höhe mit Fallschirm zur Erde zurück. Der Spaß kostet 50 Millionen Euro und lässt eine Handvoll Österreicher jubeln. Der Nutzen ist so hoch wie ein Energy-Drink lebenswichtig. Es ist ein Sinnbild unserer Zeit: Tausende von Menschen arbeiten an Projekten, deren Sinn fehlt oder nicht mehr erkennbar ist. Ich meine nicht den Geheimdienst und auch nicht das Opus Dei, ebenso wenig wie die Herrschaften in CERN. Ich meine Dinge, die irgendwo zwischen Planung und Ausführung stecken geblieben sind. Wo viel Geld und Energie in Fässer ohne Inhalt und Boden verschwindet, und keiner stört sich daran.
In den Achtziger Jahren wurde im Ferienprogramm ein Kinderfilm aus der DDR gezeigt. Nicht Aschenbrödel oder die Märchenbraut, sondern eine Art Realkomödie. Er handelte von einer Fabrik, in der eine gewaltige Maschine gebaut wurde. Wofür die Maschine war und wie sie überhaupt funkionieren sollte, wusste keiner der Ingenieure. Ein ordentlich zusammengeschweißter Schrotthaufen mit Knöpfen und Schaltern stand sinnfrei herum. Typisch DDR eben. Natürlich kassierte die Fabrik für das Monstrum jede Menge Subventionen. Als sich der zuständige Beamte zur Kontrolle ankündigte, wurden sämtliche Arbeiter abkommandiert, um Spinnweben und Staub zu entfernen. Vielleicht erinnert sich noch jemand an das Ende der skurrilen Geschichte? Damals fand ich es lustig, wie ein Betrug erfolgreich vertuscht wurde, ohne dass sich jemand dafür interessierte, wo das viele Geld hingeflossen war, und warum dieses Wundergerät nicht längst in Betrieb war. Typisch DDR eben.
Die DDR ist Geschichte, einverleibt in die zukunftsweisende BRD. Wie es der Film überhaupt durch die strenge Zensur schaffte, ist mir ein Rätsel. Obwohl bei uns heute offiziell Pressefreiheit herrscht, werden uns täglich Hunderte wichtiger Informationen vorenthalten, wegrezensiert von einschlägigen Interessengruppen. Die Zeitung mit den vier großen Buchtstaben zeigt uns sechsmal die Woche eine neue Sensation aus dem Leben von Geißen, Kühen, Kraken, Opossums und sonstigen zwei- und vierfüßigen Lebewesen, selten jedoch Nachrichten, die wirklich wichtig für uns, unsere Gesundheit und unsere Zukunft wären.
Und nebenbei passieren genau die gleichen Sachen wie in der DDR. Es wird gebaut und konstruiert, und es kommt nichts Funktionstüchtiges mehr heraus dabei. Früher wurden öffentliche Gebäude und Einrichtungen während der Bauphase teurer. Heute wären Berlin, Hamburg oder Stuttgart froh, überhaupt Fortschritte beim Bau ihrer Prestigeprojekten zu machen, ganz egal zu welchen Mehrkosten. Statt dessen stehen die Krane unnütz herum, sämtliche beauftragten Firmen gehen nach und nach Bankrott, die Baumaschinen schweigen. Und die meisten Medien tun das gleiche. Da haben wir der DDR doch inzwischen echt was voraus: Wir haben nicht etwas Fertiges, das nicht funktioniert, wir haben gar nichts!
Seit genau einem Jahr steht die Baustelle der Elbphilharmonie Hamburg komplett still. 323 Millionen Euro sehen so aus:
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Baustelle Elbphilharmonie |
Fast so schön wie der neue Flughafen Berlins, BER (bislang ca. 3 Milliarden Euro):
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Baustelle BER |
S21 hängt seit einem Jahr in der Abbruchphase fest. Vom neuen Bahnhof für die Landeshauptstadt Baden-Württembergs hört man selten, und wenn doch, nichts Positives. Im Wochentakt entgleisen Züge in den Schienenprovisorien, die man wegen der Abbrucharbeiten eingerichtet hat. Für die nötigen Neubauten fehlen Genehmigungen, Infrastruktur oder spezialisierte Unternehmen. Die wichtigste Brandschutzmaßnahme hat die DB bereits in der Schlichtung vorgestellt: Zivilcourage. Die funktioniert in Krisensituationen bekanntlich am allerbesten. Der Verkehrsminister hat für solche Lappalien leider keine Zeit. Er muss sich um Wichtigeres kümmern: Zum Beispiel die dringende Wiederbelebung alter Kfz-Kennzeichen, die seit über dreißig Jahren kein Mensch mehr braucht.
2013 ist Wahl. Sollte Frau Merkel mit ihrem Stab gewinnen, könnte die erste Maßnahme ein neues Ministerium sein, ähnlich geheim wie der MI 6: Ministerium für Lug und Trug, zur Wahrung des Scheins oder Ministerium zur Erfolgssimulation. Das klingt gut! Dort werden sich hochbezahlte Menschen der Aufgabe annehmen, bessere Ausreden für sämtliche staatlichen Pannen, Fehlentscheidungen und Lobby-Aufträge zu finden. Das Bahnroulette (Weichenstörung, Schnee, Signalstörung) ist inzwischen nicht mehr glaubwürdig. Ansagen am Bahnsteig, ein Zug verspäte sich um zehn Minuten, während dreihundert Menschen seit zwanzig Minuten warten, sind ein Running Gag. Den Juchtenkäfer konnte man zum Glück der grünen Pest in die Schuhe schieben, bei der Elbphilharmonie und diversen anderen Bausünden ist bereits zu viel Wahrheit ist ans Licht der - zum Glück desinteressierten - Öffentlichkeit gedrungen. Künftige Begründungen werden hoffentlich phantasievoller sein:
1. Das beauftragte Generalunternehmen wurde von Al-Kaida aufgekauft.
2. Die verantwortliche Ministerin hat sich zur Umschulung als Erzieherin entschieden und ist fünf Jahre außer Gefecht.
3. Ein Kollaborateur setzte eine neue Spezies Kakerlaken in der Baustelle aus, die Stahlvorräte, Schienen und Glaspanzerplatten auffrisst.
Ich hätte viele gute Ideen. Vielleicht können die mich brauchen... Dann sind die verantwortlichen Politiker nicht mehr einzig auf das segensreiche Privatfernsehen angewiesen, das die Bürger sediert.
Marx bezeichnete Religion als Opium des Volkes. Er kannte RTL noch nicht.
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