Kurt Beck, der immer ein bisschen aussieht wie ein getarnter Weihnachtsmann auf Recherche-Tour, ist im Verlauf einer lebhaften Diskussion einem Kontrahenten drastisch über den Mund gefahren. Solche Ausdrucksweise schätze ich nicht besonders. Kinder sollten sich nicht beschimpfen, ebenso wenig wie wir Eltern, die ein akzeptables Beispiel abgeben müssen. Allerdings gibt es Ausnahmesituationen, in denen normale Regeln außer Kraft treten. Ein Schrecken für all die „Schatzilein, so was tut man doch nicht“-Se, aber so ist das Leben. Kurt Beck, nicht unfehlbar, hat vor seinem Rücktritt Fehler gemacht, ein aufgebrachter Bürger hat ihm das lautstark vorgeworfen, Beck hat sich nicht minder lautstark gewehrt. Ich weiß, ich weiß, wir sind zivilisierte Menschen und lösen Probleme in sachlichen Gesprächen. Interessanterweise gehören zu unserer ach so zivilisierten Gesellschaft über ein Dutzend offiziell anerkannte Kampfsportarten, aber praktisch keine Debattierclubs.
Für mich ist dieser Vorfall ein Paradebeispiel, wie Politik sein sollte: lebendig und drastisch. Oder anders formuliert, wenn Diskussionen nicht auch mal emotional sein dürfen, dann erstarren wir eines Tages in geistiger Trägheit. Zur großen Freude jener aalglatten, von Kopf bis Fuß und innen wie außen dick mit Vaseline eingeschmierten Figuren, die Gefühle ebenso wenig kennen wie Unrechtsbewusstsein oder den Begriff Verantwortung, Leute, die so hölzern wirken, als ob sie abends mit ihrem Anzug zum Schlafen in den Kleiderschrank steigen. Politik ist lebendig, in Syrien brennt derzeit fast alles, Abo-Präsident Putin verliert sein Gesicht gegenüber dem demokratischen Westen nicht aufgrund diverser politischer Morde, sondern wegen der skandalösen Bestrafung einer Teenie-Popband, die bei uns inzwischen bekannter ist als Cher. Weiter so!
Ich gebe zu, Kurt Beck hat für mich als SPD-Politiker einen gewissen Sympathie-Vorsprung gegenüber den Lichtgestalten von FDP und CDU/ CSU wie Lindner, Leutheusser-Schnarrenberger oder besagtem Ex-und-hopp-Bundespräsidenten, die es fast unmöglich machen, Respekt vor der Arbeit eines Politikers zu empfinden.
Jenen Mann, den ich als Kind bis weit ins Teenager-Alter hinein für Deutschlands König gehalten habe, nahm ich erst als mehrschichtige Persönlichkeit war, als er bei einer Eierattacke den Angreifer verprügeln wollte und dazu erst einmal seine eigenen Securities wütend zur Seite stieß. Aktion - Reaktion, genau so muss es doch sein. In anderen Ländern werden Schuhe geworfen, was wesentlich aussagekräftiger ist als eine (manipulierte) Wahl oder Fernsehprogramme mit auffallend einseitiger Berichterstattung.
Und jetzt Politskandal 2 der Woche: Kurt Beck hat kein schlechtes Gewissen wegen seines Ausrasters! Na, das will ich doch schwer hoffen. Wulff, der im Jahr 2011 ebenfalls mit Eiern beworfen wurde, marschierte ungerührt inmitten seiner Bodyguard- und Polizistenschar weiter als wäre nichts gewesen. Vaseline innen und außen: Diesen Mann berührt rein gar nichts‚ außer sein Dispokredit vielleicht. Bezeichnenderweise jammert die glamouröse Betty, die im Gegensatz zu Gattin No. 1 auf allen Partys mittanzte und -feierte, im Nachhinein, sie wäre bei allem zu kurz gekommen und überhaupt das ärmste Wesen der Welt, eine gestresste berufstätige Mutter. Wenn das keine charakterliche Übereinstimmung ist.
Ich bin gespannt, ob die Umfrage-Werte der SPD in den nächsten Tagen steigen. Wundern würde es mich nicht.
Der positive Nebeneffekt: Auf den Start- und Titelseiten diverser Medien verdrängt ein politischer Zwist all diese unerträglichen Heidis, Kims & Konsorten nebst Lieblings-Abführmittel, Live-OPs und Echtzeit-Dryhumping. ENDLICH!!!
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