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Mittwoch, 15. Juni 2016

Und wer schießt jetzt die Tore?

Er ist wieder da! Mein zweiter Lieblingslandsmann, gleich nach Winfried Kretschmann, nämlich der mit der schwarzen Pixie-Frisur und dem besten Riecher seit Jean-Baptist Grenouille. Deutschland wird flächendeckend schwarz-rot-gold, das Fußballtrikot zum Dresscode und Oliver Welke vom Geheimtipp zum Allgemeingut. 
Die EM hat begonne, die Fahnen werden an die Autos montiert und Deutschland rückt enger zusammen als die Festzeltbesucher der Münchner Wies'n. Endlich gibt es wieder was zum Fiebern & Freuen... und einen Grund, all die schlimmen Nachrichten zu vergessen, die in den vergangenen Monaten so geballt auf uns einstürzten: Terrorangriffe weltweit auf unsere Freiheit, Millionen von Flüchtlingen, die Aussicht auf das Traumpaar Trump/ Petry als künftige Weltenherrscher, Blödelgedichte, die Staatskrisen auslösen und dazu noch unsere fast schon lapidar anmutenden Umweltsorgen (Glyphosat ist vielleicht ungesund, Plutonium eventuell auch. Zuviel Öl, Gifte und Kunststoffe, die im Boden versickern und im Meer landen, könnten unser Ökosystem negativ beeinflussen - möglicherweise.) Das vergessen wir jetzt mal ein paar Tage. Allabendlich finden wir uns in den nächsten vier Wochen einträchtig vor den Fernsehern und Großleinwänden wieder. Männer und Frauen, junge, mitteljunge und Best-Ager, sogar ganze Familien sitzen einträchtig beisammen und genießen diese einzigartige Atmosphäre. Wir teilen Whatsappbilder von Neugeborenen im Fußballtrikot und vom nachbarlichen Grill mit Bratwurst schwarz-rot-gelb. Das Wetter ist noch nicht so richtig in Stimmung, stört aber keinen. Es ist schön, fast friedlich und endlich mal wieder ein bisschen unbeschwert, wenigstens für ein paar Stunden.

Außerdem ist es cool (WIR sind Weltmeister), und super spannend. Unsere Nationalmannschaft besteht trotz WM-Titel nicht nur aus großen Namen, es tragen auch sehr junge Männer das deutsche Trikot, deren Karriere noch ihnen liegt - was im Moment ein paar Insider wissen und nach der EM die halbe Welt. Nicht zu vergessen die alten Hasen, Neuer, Müller und Lu-lu-lu-kas Podolski (sang mein Ältester vor acht Jahren im Kindergarten). Eventuell entsteht derzeit noch ein neuer Frisurentrend auf dem Fußballplatz: Silber ist das neue Schwarz/ Blond/ Braun... Mich würd's freuen.

Meine vier Männer und ich wir sind auch voll dabei und genießen den abendlichen Ausflug in ein fast sorgenfreies Europa. Allerdings habe ich immer das Gefühl, dass etwas nicht stimmt in der deutschen Elf... Ohne Frage, Bastian Schweinsteigers Entwicklung vom Spielführer zum Joker ist nicht traurig, sondern fantastisch. Dank kurzer Spielzeit bleibt den gegnerischen Mannschaften keine Zeit mehr, ihn krankenhausreif zu schlagen. Drei Minuten Spielzeit für ein Tor - das nenne ich Effizienz. Joachim Löw hat schon früher bewiesen, was er kann. (So gut, dass die Presse vor lauter Langeweile über ihn jetzt auf Proll-TV-Bilder absinkt, um überhaupt etwas über ihn zu berichten.) Das Auftakt-Spiel war nicht schlecht, und Thomas Müller findet bei seinem Einsatz gegen Polen bestimmt hinter dem Torpfosten hervor, hinter dem er sich beim letzten Spiel versteckt hat.

Aber es gibt eine Lücke, eine ziemlich große. Die ehemalige Nummer 11 fehlt und sein Nachfolger kämpft mit den gewaltigen Fußstapfen. Miroslav Klose, alias der Knipser. Ganz im Vertrauen: Ich würde polnisch lernen, um noch einmal den Salto zu sehen! Leider sind wir nicht bei Rosi Pichler, da funktioniert das. Ja, es sind auch andere zurückgetreten, ja, es gibt tolle neue Talente (s. o.). Ein bisschen Wehmut muss jedoch erlaubt sein. Weil einer fehlt, der eben nicht so präsent und mediengeil und im Vordergrund war. Der genial gespielt und Tore wie am Fließband geschossen hat, ohne sich bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit das Trikot vom Leib zu reißen, einer, der nicht Arroganz aus allen Poren geschwitzt hat.


Lieber Miro Klose, vielen Dank für deine Zeit in der deutschen Nationalmannschaft und grandiosen Fußball! Danke, dass du ein zuverlässiger Torjäger mit mustergültiger Disziplin und ohne Allüren bist. Danke für unvergessliche Momente, akrobatische Einlagen und die kürzesten Pressestatements der Fußballgeschichte. Danke, dass du kein Selbstdarsteller bist, sondern einfach nur gut spielen willst. Das ist wahre Größe.