Klassenzimmer im Gymnasium 1984:
Tische,
Stühle, Lehrerpult, eine Tafel. Daneben Zirkel, Lineal und Geodreieck im
Großformat. In der Ecke ein Tageslichtprojektor.
Klassenzimmer im Gymnasium 2017:
Tische,
Stühle, Lehrerpult, eine Tafel. Daneben Zirkel, Lineal und Geodreieck im
Großformat. In der Ecke ein Overheadprojektor.
Unterrichtsmaterial
Gymnasium 1984:
Buch, Hefte,
Stifte, Hausaufgaben mit selbigen.
Unterrichtsmaterial
Gymnasium 2017:
Buch, Hefte,
Arbeitshefte (passend zu den Schulbüchern der einzelnen Fächer und käuflich zu
erwerben), Stifte, Hausaufgaben mit selbigen.
Unterrichtsthemen
Deutsch Gymnasium 1984:
Erörterung,
Protokoll, Textzusammenfassung, Textinterpretation, Bericht, Anzeige.
Unterrichtsthemen
Deutsch Gymnasium 2017:
Erörterung,
Protokoll, Erörterung, Erörterung, Textzusammenfassung.
Finde den Unterschied. (Lösung: s. unten)
Ich bin entsetzt, wenn ich sehe, dass im Gymnasium, der heiligen Kuh des deutschen Schulsystems – in den vergangenen
30 Jahren am Unterricht fast nichts modernisiert wurde. An den Hochschulen landen Abiturienten, die in YouTube-Filmen die Problemlösung bei Spielen erklären und auf Snapchat und
Instagram im Sekundentakt ihr Leben posten. Leider sind sie nicht in der Lage,
ihr Studium zu organisieren, weil sie keine Lernplattformen kennen. Das Synonym
für Recherche heißt Wikipdia. Und dass man mit einem Tablet nicht nur spielen,
sondern auch arbeiten kann, wissen sie nicht. Woher auch. Eine Anfrage-Mail von
Studieninteressierten an der Universität sieht ungefähr so aus:
Von:
SüßeSusi99@...
Betreff:
(kein Betreff)Nachricht: Ich will bei euch studieren. 🙆😙 was mus ichh tun?😱
Susi Müller
Na wenn das mal kein erfolgversprechender angehender
Jung-Akademiker ist. Liebe Lehrer, die richtige Formulierung für eine einfach eMail,
also die moderne Form eines Geschäftsbriefes, die in jedem Beruf und jedem
Lebensbereich benötigt wird, könnte man in den Deutsch-Unterricht
implementieren, ohne vorher eine vieljährige Lehrplan-Reform auszubaldowern. Das
hat auch nichts mit G8 oder G9 zu tun.
Anstatt in einem Schuljahr die Schüler dreimal mit Erörterungen zu langweilen,
wäre es doch ganz prima, endlich den Sprung ins 21. Jahrhundert zu wagen und so
etwas total Wildes wie die Kommunikation mithilfe moderner Medien zu üben. An den Lehrplan hält sich doch eh keiner.
Referate, von manchen Eltern misstrauisch als pure Faulheit
der Lehrer beäugt, sind ein erster Schritt in Richtung „was Schüler im echten
Leben brauchen können“. Warum lasse ich nicht auch mal einen Schüler ein Video
drehen, in dem er seinen Mitschülern einen mathematischen Term erklärt: Was das
überhaupt ist, wie ein Term aussieht, wofür man den braucht. Nein, das ist
alles viel zu modern. Nur echte Bücher zählen, denn damit werden die meisten
ihr ganzes Leben nie mehr konfrontiert. Diesen Genuss müssen Schüler im
Gymnasium so lange und ausgedehnt wie möglich erfahren. Wer will schon wissen,
dass direkt nach dem Abholen des Abi-Zeugnisses die Welt sich nur noch über
Excel, SAP, Doodle, Moodle und eMails definiert. Wir pflegen verzweifelt einen Kult
aus dem letzten Jahrtausend. Wir wollen keine Neuerungen und i bewahre bloß
keine Orientierung an den Bedarfen im nachfolgenden Ausbildungs-, Studien- und
Berufsleben.
Ach ja, die Lehrmittelfreiheit. Der Freistaat Bayern zahlt großzügig
die Schulbücher. Deshalb nehmen wir nichts anderes her. Sonst fallen ja auch kaum Kosten an. Die ersten beiden
Schulwochen im September kosten eine Familie mit zwei schulpflichtigen Kindern
ca. 200 Euro: Hefte, gedruckte Arbeitshefte ergänzend zu verschiedenen Schulbüchern
in Mathe, Deutsch, Englisch, Latein usw., Stifte, Pinsel, Zirkel, Material für
Kunst, Werken, Kopiergeld. Weitere Ausgaben folgen den Rest des Schuljahres
über. Schulbücher sind in der Regel zehn Jahre lang im Gebrauch. Vergisst eine
Schule, rechtzeitig neue Bücher zu bestellen (oder die Mittel sind von der
Stadt nicht da), gibt es auch mal – genau – keine Bücher. Zumindest keine
aktuellen. Also noch mehr Kopien, noch mehr Arbeitshefte. Geile Sache, diese Lehrmittelfreiheit. Für Oldenbourg, Cornelsen
und Klett.
Aber bitte, wir können doch nicht verlangen, dass Kinder,
die eine Playstation, WII oder einen Gamer-PC für mehrere tausend Euro zuhause
stehen haben, ernsthaft mit einem Rechner und klassischen Anwender-Programmen,
die wir Erwachsene jeden Tag nutzen, auch mal Hausaufgaben erledigen! Was für
eine absurde Vorstellung.
Gut, dass old school und old fashionend gerade voll im Trend liegen. Hoffentlich wissen das auch die Arbeitgeber von morgen zu schätzen, wenn der Jahresbericht für die Aktionäre keine vollständigen Sätze, aber zahlreiche handschriftliche Notizen und Emojis enthält. J J J
(Lösung
1: Der Tageslichtprojektor heißt jetzt Overheadprojektor.
Lösung
2: Transferfrage: Die Schultasche 2017 ist schwerer, dafür werden weniger Themen durchgenommen.)