Gesamtzahl der Seitenaufrufe

17,604

Donnerstag, 21. September 2017

Die Frau, das selbstbewusste Wesen


Kürzlich habe ich den ZDF-Mehrteiler „Ku’damm 56“ angesehen. Es ist aus heutiger Perspektive fast unglaublich, wie sehr sich Frauen nach dem Krieg der schönen Fassade wegen verbiegen mussten. Das Leben bestand aus unzähligen Lügen und der Flucht aus der Realität mit Frauengold, nur weil der schöne Schein eben genau das war: eine makellose Fassade. Selbstverwirklichung? Was für eine lustige Vorstellung. Frauen haben keine Bedürfnisse zu haben! Homosexualität, die nicht standesgemäße Liebe, der  heimliche langjährige Hausfreund und Liebhaber – nix gibt’s, wie mein vierzehnjähriger Sohn schön die Verneinung formuliert.

Wie gut, dass das alles vorbei ist und hinter uns liegt. Wir schreiben ein neues Jahrtausend, wir sind frei, wir sind selbstbestimmt: Wir dürfen heiraten, wen wir wollen. (Es gibt Gerüchte, wonach dies für einige Gesellschafsschichten von und zu Deutschland nicht gilt, aber das sind natürlich nur Vorurteile!) Wir dürfen lieben, wen wir wollen. (Außer auf dem Land. Und als Fußballspieler, als Angestellter einer Kirche oder wenn man Karriere machen möchte, aus einer konservativen Familie stammt, im Osten Deutschlands lebt oder vom falschen Kontinent stammt.) Wir dürfen sagen, wenn es uns schlecht geht, wir überarbeitet sind und uns alles über den Kopf wächst: in Selbsthilfe-Gruppen, Mütter-Foren, beim Psychologen und in der Burn-out-Klinik. Wir sind absolut frei und unabhängig, was unsere Bildung, die äußere Erscheinung und unsere Lebensführung betrifft. Vorausgesetzt, die Eltern ermöglichen eine gute Ausbildung, die Kleidergröße liegt zwischen 34 und 38 und ab Mitte 30 gibt es den festen Lebenspartner und als einziges „Problem“ die Frage Kind ja oder nein zu klären. Mit Größe 40 aufwärts, vormals Übergröße, heute Plus-Size, sollte man zumindest den Anstand haben, in allen sozialen Netzwerken live von den neuesten Diätmaßnahmen zu berichten. Friseurin, Erzieherin oder Sekretärin sind schöne Berufe, werden aber nicht als solche wahrgenommen, sondern möglichst verschwiegen. An den fantastischen Verdienst- und Karriereaussichten kann es doch wohl nicht liegen… Und außerdem darf wirklich jeder nach seiner Façon glücklich werden. Beth Ditto ist lesbisch, fett und erfolgreich. 

Es ist alles ganz anders und viel besser heutzutage. Wir müssen nicht den schönen Schein wahren. Wir leben ein stinknormales Leben in unserer Traumwohnung, haben unspektakuläre Berufe wie Webdesigner, Mediendesigner oder Consultant und sind manchmal richtig mies duckfacemäßig drauf. Das zeigen wir unserer Umwelt ganz offen und ungeschönt mit aktuellen Fotos, also pics, aus jeder Lebenslage, ohne Filter und ohne Weichzeichner... unterschrieben mit so hübschen Begriffen wie #nomorebedhair#thx@giacomosbeautypalace#neuefrisurneuefrau. Selbstverständlich geben wir Niederlagen und unschöne Erlebnisse zu, auch das grauenhafte Hotel im letzten Urlaub #cocktailampool#besturlaubever#geileparty), wie wir zuhause nach mehrwöchiger Putzabstinenz die Toilette schrubben (#newcouch#nailcouture#waszieheichheutean) und selbstverständlich stehen wir zu ALLEN UNZULÄNGLICHKEITEN UND MAKELN genauso wie zu unserem Alter (#besterbotoxdoc#40istdasneue30#mamatochterkleidertausch#schlankin5minuten). Alles ganz ohne Druck, weil es zum Glück keine Erwartungen mehr an uns Frauen, unser Leben und unser Aussehen gibt.

Ich bin froh, dass wir die Selbstinszenierung erfunden haben. Damit sind wir endlich nicht mehr gezwungen, so zu tun, als ob unser Leben perfekt wäre. Es genügen ein paar hübsche Bilder davon!

Muss jetzt leider ganz schnell weg, zur Schweißdrüsen-OP.