Mein neues Lieblings-Hobby ist Stricken. Keine Ahnung, warum, jedenfalls hat es mich schon einige Zeit in den Fingern gejuckt, nach langer Zeit wieder ein Kleidungsstück selbst zu schaffen. Früher habe ich mit einer Freundin um die Wette Pullover angefertigt. Es folgten zwanzig Jahre hemmungslose Konsumsucht. Irgendwann kennt man alle Online-Shops auswendig und findet doch nicht das Gewünschte. Jedenfalls nicht käuflich zu erwerben. Also wird man selbst aktiv.
Vielleicht liegen die Gründe aber auch viel tiefer, geboren aus der unterschwelligen Angst, demnächst vor dem kalten Nichts zu stehen, mitten in einer Wirtschaftskrise, in der Geld wertlos ist und die Regale in den Geschäften leer. Manchmal sehe ich die Szenerie vor mir: die Straßen wie nach einem Krieg leergefegt, die Häuser mit zerbrochenen Fensterscheiben, und die Bevölkerung kämpft ums Überleben. Man schachert mit Nachbarn und Bekannten, der Bauer wird bezahlt mit Omas altem Ehering, und die Kinder tragen umgearbeitete Kleider von Mama, Papa oder sonst wem, weil es keine neuen zu kaufen gibt.
Vielleicht tendiere ich deshalb derzeit zu Investitionen in dauerhafte Produkte. Ich kaufe nur noch ganz klassische Sachen, die garantiert die kommenden dreißig Jahre halten werden. Ich versuche, soviel wie möglich selbst zu machen, auch Brot. Und sollte ich demnächst ein paar Euro übrig haben, gibt es eine schöne Halskette vom Juwelier. Schmuck war in Krisenzeiten doch immer ein gutes Handelsobjekt. Ob das mit Wein funktioniert, weiß ich nicht. Auf jeden Fall bietet er die Möglichkeit, sich zwischendurch die Welt schön zu trinken.
Tatsächlich habe ich keine Ahnung, ob eine Krise bevorsteht. Geschweige denn, ob sich ein finanzieller Zusammenbruch überhaupt so dramatisch auswirken könnte. Vielleicht bin ich durch gewisse persönliche Umstände einfach überspannt und hypernervös. Das kann durchaus sein. Mein Seelenleben ist alles anders als stabil, da neige ich gern zu einem leichten Pessimismus. Wenn man drei Wochen lang jeden Tag mindestens fünfzehn Minuten zu spät zur Arbeit kommt, weil die S-Bahn inzwischen nach Rasputins Mondkalender fährt, dann liegen die Nerven blank. Also durchaus denkbar, dass ich weiße Mäuse sehe, die es nicht gibt. Oder drohende Versorgungsengpässe, die nie eintreten werden.
Tröstlich ist: ich bin nicht allein mit meinem Bedürfnis nach Autarkie. Im Radio erzählen Schüler, wie sie in VHS-Kursen Nähen lernen, die Bestseller-Listen werden nicht mehr von Krimis gefüllt, sondern von Ratgebern wie „Neue Möbel - selbst geschreinert“, „Der sichere Weg zur Selbstdiagnose“ oder „Überleben im heimischen Dschungel: Essbare Pflanzen der Großstadt“. DIY, der aktuelle Trend, ist übrigens die Abkürzung von „Do it yourself“, wie ich vor wenigen Tagen herausbekam. Da führte eine bekannte Frauenzeitschrift eine neue Rubrik zu genau diesem Thema ein. Es ging darum, wie man auf einem Balkon einen richtigen kleinen Garten anpflanzen kann. Mit Mini-Gewächshaus und der zeitlich optimalen An- und Aufzucht von nahrhaftem Gemüse.
Nun, ich habe einen kleinen Balkon, und eigenes Obst und Gemüse wollte ich schon immer. Andererseits: Man sollte sich nicht verrückt machen lassen. Es gibt keinen Grund zur Panik! „Sen“iore Bunga-Bunga-B. hat einen Pakt mit dem Teufel, das finanzielle Luftschluss wird noch viele Jahre stehen. Außerdem habe ich gar keine Zeit für Gartenarbeit. Auf mich warten fünf Kilogramm Wolle, die ich vorige Woche erworben habe. Daraus mache ich Schals, Mützen, Handschuhe und Pullover für meine Kinder, mich - und vielleicht auch für meinen Mann. Wenn er mir zu Weihnachten eine Perlenkette schenkt. Oder Anteile an einer Schafherde, einem Windpark oder einem Biobauernhof. Panik? Kenne ich nicht!
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