Erinnern Sie sich an die Zeit, als man sich mit einer richtigen Bewerbungsmappe bewarb? Vorab beim Fotografen Passbilder machen ließ, beglaubigte Zeugniskopien auf dem Rathaus besorgte, und dann alles sauber verpackt in einen Papierumschlag steckte und mit Briefmarke versah? Die Chancen waren gut, dass wenige Tage später eine telefonische Einladung zum Vorstellungsgespräch kam. Das führte der Chef, und wenn alles glatt lief, das heißt, wenn man sich halbwegs sympathisch war, hatte man einen neuen Job.
Das ist lange her.
Die wenigsten U-30er wissen, was DDR bedeutet, ein russischer James Bond ist neidisch auf die Chinesen (wer nicht?), und die Titelseiten von Zeitungen und Magazinen schmücken Menschen, die zwei Wochen vorher keiner kannte und zwei Tage später niemanden mehr interessieren. Private Kontakte bestehen aus Handy- und Internetverbindungen, und die richtige Konfektionsgröße ist wichtiger als die richtige Einstellung.
Wir haben eine weltweite Verbindung untereinander, das Internet. Man bewirbt sich per Mail und nur noch selten per Post. Und gleichgültig, welchen Weg man wählt, meist erhält man keinerlei Reaktion auf die Bemühungen. Die Konsumgesellschaft zieht sich durch alle Bereiche: Die Masse macht‘s. Hauptsache, es geht viel ein. Um danach direkt auf den Müll zu wandern. Unterlagen zurückschicken, damit halten sich heute die wenigsten Unternehmen auf. Obwohl sie zum Teil sogar auf die altmodische Art bestehen, vielleicht um die Ernsthaftigkeit des Bewerbers zu prüfen. In den vergangenen Monaten habe ich mich zweimal bei einem bekannten Bergverein beworben. Ich habe meine Unterlagen säuberlich ausgedruckt, in eine teure Sammelmappe gepackt und klassisch verschickt. Und ward nie mehr gesehen. Vielleicht benötigten sie für ihre Hütten kostengünstiges Toilettenpapier.
Ähnlich verläuft es bei den Unternehmen, die bereits im medialen Zeitalter angekommen sind. Man übergibt seine virtuelle Mappe, mit digitalem Foto und einem komprimierten Lebenslauf. Profis verpacken die Daten so, dass alles präsentationsgleich beim Öffnen aufpoppt. Manchmal, sehr selten, kommt etwa drei Monate später eine eMail zurück. Das große unbekannte Wesen fragt nach, wie denn genau die Vorstellungen sind, finanziell und überhaupt. (Steht ja alles nicht drin, in der Bewerbung. Schon gar nicht auf der ersten Seite.) In seltenen Fällen setzt sich eine lebendige Person (zumindest klingt es so) ans Telefon, und fragt persönlich nach, was in der Unterlagen steht, die keiner liest. Ob man statt der ausgeschriebenen zwanzig Stunden nicht auch vierzig arbeiten könnte. Am besten auch darüber hinaus. Vor allem die Besetzung am Abend und am Wochenende sei wichtig. Und ob es etwas ausmacht, wenn der Arbeitsplatz doch ganz woanders läge, nicht öffentlich erreichbar sei. Die Frage nach Parkplätzen wird quittiert von mühsam unterdrücktem Lachen. Mangelware. Leider.
Trotzdem bin ich diesen Unternehmen ehrlich dankbar: Dafür, dass sie solche Details ansprechen, bevor ich stundenlang kreuz und quer durch die Stadt fahre, einen Babysitter für meine Kinder organisiere und mich durchgeschwitzt in einen teuren Hosenanzug zwänge.
Den meisten Personalern fallen diese Nebensächlichkeiten frühestens im zweiten Vorstellungsgespräch ein. Wenn sie dann endlich mit dabei sind. Es gibt nämlich erstaunlich viele Personen in einem Unternehmen, die über die Einstellung neuer Kollegen mitbestimmen. Bei meinem jetzigen Arbeitgeber sitzen im Geschäftsführer-Meeting etwa zehn bis fünfzehn Leute. Insgesamt sind dreißig Mitarbeiter fest angestellt. Folglich gehören fünfzig Prozent der Mitarbeiter zur Geschäftsführung.
Im Personalbereich kann man Ähnliches beobachten. Das erste Gespräch führt ein Sachbearbeiter, manchmal auch der stellvertretende Abteilungsleiter, manchmal auch die Sekretärin. Der Abteilungsleiter selbst hat gerade Urlaub, ist in Kur oder unpässlich. „Hätte eigentlich dabei sein sollen, kommt dann in der zweiten oder dritten Runde dazu“, heißt es für gewöhnlich. Die Kollegin, die im Organigramm zufällig ein wenig oberhalb erscheint, sitzt in Polen; alternativ in Finnland oder in den USA. Sie wird ein Telefoninterview führen. Und beim letzten Gespräch ist jemand von der Personalabteilung dabei. Wegen der unwichtigen Details wie Arbeitszeit, Gehalt, Urlaub und Einsatzbereich.
Zwei bis drei Vorstellungsgespräche sind heute die Regel. Auch wenn man sich für Teilzeitstellen bewirbt, die unter zwanzigtausend Euro Jahresgehalt liegen. Wobei Teilzeit niemals ernst gemeint sind. Zwanzig Stunden werden ausgeschrieben, tatsächlich verlangt sind fünfzig bis sechzig Stunden. „Wäre das ein Problem für Sie?“
Nein! Natürlich nicht. Ich heiße in Wirklichkeit Uschi von L, habe ein gut gefülltes Konto, fünfzehn Hausangestellte und keinen anderen Lebensinhalt als Kaffeemaschinen zu putzen und privaten Anrufern zu erklären, dass die Kollegen längst zuhause, in ihrem Fitnesscenter, auf dem Golfplatz oder in der Karibik sind.
Urlaub ist das Unwort schlechthin in einem Bewerbungsgespräch. Allenfalls die Erwähnung eines möglichen Homeoffice kann die Miene des potentiellen Arbeitgebers noch mehr zum Entgleisen bringen. So etwas ist absolut verpönt. Vielleicht ist es die Angst, es könnte jemand seine Arbeit in der tatsächlich angedachten Zeit erledigen. Undenkbar! Nur wer auf einem unbequemen Stuhl in einem Büro weit weg von zuhause sitzt, eine lange Anfahrt hat und ständig Stress, Unruhe und Ablenkungen ausgesetzt ist, ist ein guter Angestellter.
Einzig das Gehalt, etwa fünfzehntausend Euro pro Jahr, ist fix und keinesfalls verhandelbar.
Gut, dass ich fast nicht zwei Kinder habe, dass ich gern an zugigen Bahnsteigen und in überfüllten Zügen bin, dass ich am liebsten achtzig Stunden in der Woche arbeiten möchte und das auch noch umsonst ...
Mist! Die haben mich alle durchschaut.