Wir waren im Urlaub, meine drei Männer und ich. Leider blieben unsere sportlichen Aktivitäten weit hinter meinen Plänen zurück. Der Kleinste ist gleich am ersten Tag mit dem Fahrrad in eine Kiesfläche gestürzt. Zwei Tage Ruhepause waren danach vonnöten. Es folgte eine dreitägige Schlecht-Wetter-Front, die längere Unternehmungen verhinderte. Im Anschluss daran ist der Mittlere verunfallt, und als alle Wunden verheilt waren, wechselten sich meine Söhne im „Wir haben keine Lust“-Singen ab. Die Bilanz nach vierzehn Tagen Aktivurlaub in Südtirol sind dreieinhalb Wander- und zweieinhalb Radtouren. Dafür habe ich viel gelesen, was grundsätzlich schön ist. Jedoch trägt Lesen nicht allzu viel zur Verbrennung von Kalorien bei. Diese wiederum sind in gutem Wein und Käse nicht zu knapp enthalten; eine Diskrepanz, die die Waage mir heute eindeutig unter die Nase betoniert hat.
Jetzt habe ich ein noch viel schlechteres Gewissen als während des Urlaubs, wo ich nur ab und zu daran denken musste, dass ich viel zu wenig Sport treibe. Da sitzt man in einer schönen Landschaft, umgeben von Bergen und Seen, und tut - nichts! Naja, fast nichts. Außerdem habe ich zu wenige Ansichtskarten geschrieben, meine Eltern nicht angerufen und zu viel gegessen. Ich habe trotz Navigationshilfe nicht den kürzesten Rückweg zum Auto gefunden, und ich war garstig zu meinen Kindern, weil ich nicht gemerkt habe, dass es ihnen schlecht geht. Was mache ich eigentlich richtig?
Seit wir zurück sind, besuchen die Kinder wieder Kindergarten und Hort, so dass ich in Ruhe zuhause aufräumen, waschen und putzen kann. Trotzdem habe ich ein schlechtes Gewissen, weil die beiden ja rein theoretisch auch zuhause bleiben könnten. Mama hat schließlich frei.
Muss ich zur Arbeit, habe ich sowieso ein schlechtes Gewissen. Morgens bin ich oft am Gängeln und Hetzen, damit wir zeitig aus dem Haus kommen, nachmittags hole ich die beiden erst weit nach dem Mittagessen ab, wenn die meisten anderen Kinder längst zuhause oder auf dem Spielplatz sind. Und wir unternehmen viel zu wenig!
Falls sich jemand Sorgen macht: Mit mir ist alles in Ordnung! So oder ähnlich denken viele Frauen, und wohl jede Frau, die Kinder hat. Es gibt immer, täglich, stündlich, etwas, was wir nicht richtig gemacht haben, und worüber wir uns die folgenden Tage, Wochen, Monate den Kopf zerbrechen. Das Sprichwort von der verschütteten Milch, der man nicht nachweinen soll, stammt garantiert von einem Mann! Frauen überlegen stattdessen, wie viel Milch es war, was man damit alles hätte machen können und (schlimmste Frage überhaupt): Warum habe ich sie verschüttet? Kein Mann dieser Welt befasst sich mit solchen Überlegungen. (Vielleicht, wenn wir ganz viel Glück haben, irgendwann einmal Richard David Precht, wenn seine Frau unter PMS leidet: "Bekommt sie ihre Tage und wenn ja, wieviele?")
Es gibt nun zwei Möglichkeiten. Erstens: Schlechtes Gewissen ist angeboren, und die Anlage hängt am zweiten X-Chromosom. Dagegen sind wir leider machtlos.
Zweitens: Es handelt sich um eine psychische Erkrankung, die vor allem Frauen und besonders oft Mütter trifft, ähnlich der Manager-Modekrankheit Burn-out. Ständiges Schulbewusstsein oder „Permanent guilt“. Wir Frauen machen immer alles falsch. Wir arbeiten zu wenig, sind oft unpässlich, schwächer, häufig unterkühlt, manchmal launisch, wiegen mit vierzig mehr als mit sechzehn, brüllen unsere Kinder an, schieben sie in eine Tagesstätte ab - und versinken in Selbstkritik.
Zum Glück gibt es Schlüsselerlebnisse, die ein heilsames Gegenmittel sind. Heute: Väter im Kindergarten! Die interessieren sich nämlich einen feuchten Putzlappen dafür, ob sie ihre Brut beim Umziehen zusammenstauchen und was passiert, nachdem sie sich in Richtung Ausgang umgedreht haben. Heute morgen wurde ich unfreiwillig Ohrenzeuge, wie ein Vater unter der Haustür einem anderen erzählte, dass er jetzt zum Starnberger See fährt, die heutige Brise nützen. „Und nachmittags wird sie noch stärker.“ Der andere beneidete ihn glaubhaft. Ungefähr einhundert Sekunden später klärte mich Vater No. 2 beim kollektiven Slow-Motion-Schuhwechsel in der Zwergengarderobe auf, Zeit sei relativ. In seinem Urlaub dauerte das Duschen der Familie volle zwei Stunden. „Wir sind Segler!“ Was das eine mit dem anderen zu tun hat, weiß ich nicht. Warum er es mir erzählt hat, auch nicht. Ich hasse Wind! Und ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass die, die beim Golf keine Platzreife schaffen, statt dessen in Bootsschuhe schlüpfen und an Bord einer Joppe oder Schoppe, oder wie das heißt, gehen.
Ich kann übrigens auch zwei Stunden lang duschen, sogar ganz alleine. Und ich habe künftig nie, nie, NIE mehr ein schlechtes Gewissen, wenn ich meine Kinder zusammenstauche oder im Kindergarten deponiere, weil ich was anderes zu tun habe.
Morgen Vormittag gehe ich joggen. Oder radeln. Oder beides!