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Donnerstag, 22. Oktober 2015

Lernen lernen

So heißt ein Vortrag, der demnächst an der Schule meines Sohnes angeboten wird. Dort sollen Eltern erfahren, wie sie ihren Kinder beibringen, selbständig und motiviert Hausaufgaben zu erledigen und sich auf Leistungserhebungen vorzubereiten.

Klingt gut? Ich finde es eine Frechheit sondergleichen, weil von der Schule nun das nächste Aufgabengebiet auf die Eltern abgewälzt wird. Erwähnte ich bereits, dass ich über eine Grundschule spreche? Hier sind ausschließlich Kinder zwischen 5 und 10 Jahren. Das heißt, ich habe bei dem Vortrag die wunderbare Chance zu lernen, wie ich meinem 8jährigen Kind beibringe, selbständig und in Eigenverantwortung zu arbeiten...

In Deutschland besteht Schulpflicht. Eltern sind gesetzlich dazu verpflichtet, ihre Kinder in eine Schule zu schicken. Was vor zweihundert Jahren eine Bereicherung und ein immenser Fortschritt für unsere Gesellschaft war, hat sich inzwischen zur Höchststrafe entwickelt. Weil es bedeutet, dass Kultusministerium und Schulen machen können, was sie wollen - die Kundschaft kommt trotzdem. In den ersten beiden Schuljahren hatte mein mittlerer Sohn wenig Unterricht. Die Lehrerin, ausgestattet mit wenig Erfahrung und einem vierjährigen Hyperaktivling zuhause, verschwendete keine Zeit auf lästiges Vor- und Nachbereiten. Statt dessen gab es unzählige kopierte Blätter, fast immer mit dem Aufgabenbereich Ausmalen: Rechnungen in Ausmalform, Silbenbögen zeichnen, Lernwörter malen, Uhren, Jahreszeiten, Abfall - alles ward in Bildform verewigt. Außerdem hatte er das Glück, unfreiwillig an der Erprobung eines neues Lehrsystems vom Kultusministerium aus teilzunehmen: Grundschule PLUS. Ohne Zwänge und ganz frei, je nach Leistungsvermögen der Kinder gibt es keine fixen, einheitlichen Klassenziele mehr.

Nun hat uns in der dritten Klassenstufe eine weitere Neuerung überrascht: Leistungserhebungen, hierzulande Proben genannt, werden nicht mehr angesagt. Für Nicht-Schuleltern: Diese Proben bestehen in Klasse 3 und 4 aus mindestens drei Din A 4 Blättern mit Mathematikaufgaben, aus einem 2seitigen Text mit ca. 6-10 Verständnis- und Grammatikfragen oder aus mehreren Blättern mit Fragen zum Thema Wald, inklusive der Bodenschichten, Fauna und Flora sowie des Umweltgedankens.  Abgefragt wird Wissen, das jeder Erwachsene aus dem Stand parat hat. ;-) Mir vergeht das Lächeln, weil ich inzwischen zuhause Parallelunterricht abhalte. Die Lehrerin ist seit zwei Wochen krank, der Stoff wird von irgendwelchen Aushilfen vermittelt (oder auch nicht), und von den ersten beiden Schuljahren (Grundschule PLUS!) sind keine Grundlagen da, auf die ein Kind aufbauen kann.
Vielleicht dürfen wir deshalb zum "Lernen lernen": Damit wir doofen Eltern endlich wissen, wie wir uns den Stoff aneignen. Der nächste Vortrag dürfte dann sowas sein wie "Lehren lernen - so vermitteln Sie Ihr Wissen an Ihr Kind". Gut, dass wir das geklärt haben.

Übrigens gibt es seit diesem Schuljahr eine neue Subtraktionsweise. Ich verstehe sie nicht. Sie ist auch nicht beim DZLM (Deutsches Zentrum für Lehrerbildung Mathematik) aufzuspüren. Aber wenn mein Sohn sie in der nächsten Probe nicht anwendet, bekommt er Abzüge. So geht das.