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Dienstag, 25. Oktober 2016

Old Fashioned


Ich besitze keinen Fernseher, weil ich am liebsten lese oder Filme ansehe – ohne lästige Werbeunterbrechungen. (Ja, so war das früher.) Nachrichten finde ich prima, wenn tatsächlich Informationen transportiert werden und nicht nur Schlagzeilen. Dafür gibt’s das Blatt mit den vier Großbuchstaben und ohne TEXT. Ich besitze nur ein Auto und auch kein Mobiltelefon mit angebissenem Apfel. Für runde eintausend Euro kaufe ich Schmuck, aber keinen Gebrauchsgegenstand, der mir ständig aus der Hand und, wenn ich Pech habe, auch mal in die Toilette fallen kann.

Mit meiner Einstellung fühle ich mich manchmal ziemlich alleine. Es ist unmodern, Freizeitsport zum Spaß zu treiben, ohne Trainingsplan und den Iron Man als Ziel. Wenig überraschend oute ich mich gleich bei dieser Gelegenheit offiziell als Facebook-Muffel. Eigentlich wollte ich zu alten Bekannten nicht gänzlich den Kontakt verlieren. Jetzt muss ich deren Nachrichten suchen zwischen den zahllosen Posts von der Personenwaage meines diätenden Kollegen vor und nach dem Stuhlgang und dem minütlichen Statusreport der zwanzigjährigen Praktikantin. (Okay, es ist sein Gewicht morgens, mittags und abends – kommt aber irgendwie aufs gleiche raus, oder?)

Meine unzeitgemäße Lebenseinstellung zieht sich wie ein roter Faden durch den Alltag: beim Einkaufen, Arbeiten, in Schule und Kindergarten. Ich will weder eine Lebensversicherung abschließen noch ein Konto eröffnen, wenn ich bei der Post Briefmarken einkaufe. Ich möchte bei der Arbeit arbeiten, und nicht networken, Umfragen beantworten oder mich von Lieferanten bei der Bestellung von Verbrauchsmaterial maßregeln lassen. Ey, ich bin der Kunde. Und wenn ich neuen Toner bestellen will, dann erwarte ich eine Lieferung und keine Diskussion über meinen Bedarf! Ich dachte, die Planwirtschaft sei mit der DDR gestorben. Von wegen.

Und weil wir, ein kleines Zugeständnis an die Moderne, beide berufstätig sind, nehmen mein Mann und ich für unsere Kinder neben der Schule eine Betreuung für die Kinder in Anspruch. Was soll ich sagen? Wir bekommen am Elternabend von den Lehrkräften erklärt, was an Stoff durchgenommen wird, damit !wir! das Thema mit den Kids !zuhause! üben können. Regelmäßig finden Belehrungen statt über unsere elterliche Pflicht, Hausaufgaben zu kontrollieren und vor kurzem war in der Grundschule ein Motivationsvortrag: Eltern lernen ihren Kinder beizubringen zu lernen. Und wozu gehen die in die Schule? In der Kindertagesstätte bin ich permanent am Ausreden erfinden: Ich will nicht zu Elterncafés, Elternstammtischen, zu Eltern-Kita-Kind-Ausflügen und -Feiern und Kennlern- und Spielnachmittagen. (Pssst: Kann auch durchaus vorkommen, dass ich arbeiten muss, also die Betreuung des Kindes brauche. Aber das ist unser Geheimnis!) Es gibt ein wunderbares neudeutsches Wort: Kernkompetenz. Ich möchte einfach nur, dass mein Kind gut versorgt und glücklich ist, während ich arbeite, dass es spielen kann und Freunde hat. Und meine Freizeit organisiere ich selbst. Mir fallen durchaus Dinge ein, die man unternehmen kann. Ohne "Hilfe" und noch mehr Termine. Jetzt naht der Advent. Heißt, ich soll Plätzchen und Kuchen backen und abpacken und verkaufen und wieder zurückkaufen für daheim. Also irgendwie entgeht mir der Sinn der beiden Zwischenschritte. Abgesehen davon gibt es in unserer Familie noch ein paar Personen und Interessen mehr, und wenn ich zu jeder angebotenen Veranstaltung von Kindergarten, Hort und Schule gehe, lande ich nach spätestens vier Wochen in der Klappsmühle. Weil erfahrungsgemäß immer und überall die gleichen dämlichen Fragen und schlauen Sprüche abgesetzt werden und die Ein-Kind-Helikopter-Eltern nicht genug haben können von den vielen tollen Events, wo ihr Goldstück immer und überall aus der ersten Reihe mit Serienauslöser fotografiert werden kann.

Von mir aus trinkt Kaffee und macht Feste, wenn es euch glücklich macht. Aber nicht als Zwangsarbeit für alle. Wo bleibt die Toleranz? Noch so ein modernes Wort, das gern verwendet, aber selten gelebt wird. Über meine Lebenszeit bestimme ich. Genauso wie über meine Einkaufsgewohnheiten als zahlender Kunde. Ich möchte weder Alternativen noch Ergänzungen oder herablassende, belehrende Sprüche. Ich will genau das, was ich bestellt habe! Wer samstags zur Autowaschanlage fährt, ist wohl nicht begeistert, wenn das Fahrzeug auf dem Band durch eine defekte Anlage gezogen wird, um bei der Ausfahrt zu erfahren: „Wäsche is heut nicht. Dafür hama ne Vorführung von der Senioren-Samba-Gruppe Buxtehude."
Flirten betrifft mich eher weniger, aber ganz ehrlich, darüber bin ich unsagbar froh! Mit Selfies und Photoshop den Traummann respektive die Traumfrau finden - hallo? WYSIWYG - R. I. P.!

Auto waschen in der Waschanlage, Kinderbetreuung in der Kita, Unterricht in der Schule, Postsachen auf der Post, Flirten überall. Ist doch eigentlich ganz einfach. Aber sowas von altmodisch…


Mittwoch, 15. Juni 2016

Und wer schießt jetzt die Tore?

Er ist wieder da! Mein zweiter Lieblingslandsmann, gleich nach Winfried Kretschmann, nämlich der mit der schwarzen Pixie-Frisur und dem besten Riecher seit Jean-Baptist Grenouille. Deutschland wird flächendeckend schwarz-rot-gold, das Fußballtrikot zum Dresscode und Oliver Welke vom Geheimtipp zum Allgemeingut. 
Die EM hat begonne, die Fahnen werden an die Autos montiert und Deutschland rückt enger zusammen als die Festzeltbesucher der Münchner Wies'n. Endlich gibt es wieder was zum Fiebern & Freuen... und einen Grund, all die schlimmen Nachrichten zu vergessen, die in den vergangenen Monaten so geballt auf uns einstürzten: Terrorangriffe weltweit auf unsere Freiheit, Millionen von Flüchtlingen, die Aussicht auf das Traumpaar Trump/ Petry als künftige Weltenherrscher, Blödelgedichte, die Staatskrisen auslösen und dazu noch unsere fast schon lapidar anmutenden Umweltsorgen (Glyphosat ist vielleicht ungesund, Plutonium eventuell auch. Zuviel Öl, Gifte und Kunststoffe, die im Boden versickern und im Meer landen, könnten unser Ökosystem negativ beeinflussen - möglicherweise.) Das vergessen wir jetzt mal ein paar Tage. Allabendlich finden wir uns in den nächsten vier Wochen einträchtig vor den Fernsehern und Großleinwänden wieder. Männer und Frauen, junge, mitteljunge und Best-Ager, sogar ganze Familien sitzen einträchtig beisammen und genießen diese einzigartige Atmosphäre. Wir teilen Whatsappbilder von Neugeborenen im Fußballtrikot und vom nachbarlichen Grill mit Bratwurst schwarz-rot-gelb. Das Wetter ist noch nicht so richtig in Stimmung, stört aber keinen. Es ist schön, fast friedlich und endlich mal wieder ein bisschen unbeschwert, wenigstens für ein paar Stunden.

Außerdem ist es cool (WIR sind Weltmeister), und super spannend. Unsere Nationalmannschaft besteht trotz WM-Titel nicht nur aus großen Namen, es tragen auch sehr junge Männer das deutsche Trikot, deren Karriere noch ihnen liegt - was im Moment ein paar Insider wissen und nach der EM die halbe Welt. Nicht zu vergessen die alten Hasen, Neuer, Müller und Lu-lu-lu-kas Podolski (sang mein Ältester vor acht Jahren im Kindergarten). Eventuell entsteht derzeit noch ein neuer Frisurentrend auf dem Fußballplatz: Silber ist das neue Schwarz/ Blond/ Braun... Mich würd's freuen.

Meine vier Männer und ich wir sind auch voll dabei und genießen den abendlichen Ausflug in ein fast sorgenfreies Europa. Allerdings habe ich immer das Gefühl, dass etwas nicht stimmt in der deutschen Elf... Ohne Frage, Bastian Schweinsteigers Entwicklung vom Spielführer zum Joker ist nicht traurig, sondern fantastisch. Dank kurzer Spielzeit bleibt den gegnerischen Mannschaften keine Zeit mehr, ihn krankenhausreif zu schlagen. Drei Minuten Spielzeit für ein Tor - das nenne ich Effizienz. Joachim Löw hat schon früher bewiesen, was er kann. (So gut, dass die Presse vor lauter Langeweile über ihn jetzt auf Proll-TV-Bilder absinkt, um überhaupt etwas über ihn zu berichten.) Das Auftakt-Spiel war nicht schlecht, und Thomas Müller findet bei seinem Einsatz gegen Polen bestimmt hinter dem Torpfosten hervor, hinter dem er sich beim letzten Spiel versteckt hat.

Aber es gibt eine Lücke, eine ziemlich große. Die ehemalige Nummer 11 fehlt und sein Nachfolger kämpft mit den gewaltigen Fußstapfen. Miroslav Klose, alias der Knipser. Ganz im Vertrauen: Ich würde polnisch lernen, um noch einmal den Salto zu sehen! Leider sind wir nicht bei Rosi Pichler, da funktioniert das. Ja, es sind auch andere zurückgetreten, ja, es gibt tolle neue Talente (s. o.). Ein bisschen Wehmut muss jedoch erlaubt sein. Weil einer fehlt, der eben nicht so präsent und mediengeil und im Vordergrund war. Der genial gespielt und Tore wie am Fließband geschossen hat, ohne sich bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit das Trikot vom Leib zu reißen, einer, der nicht Arroganz aus allen Poren geschwitzt hat.


Lieber Miro Klose, vielen Dank für deine Zeit in der deutschen Nationalmannschaft und grandiosen Fußball! Danke, dass du ein zuverlässiger Torjäger mit mustergültiger Disziplin und ohne Allüren bist. Danke für unvergessliche Momente, akrobatische Einlagen und die kürzesten Pressestatements der Fußballgeschichte. Danke, dass du kein Selbstdarsteller bist, sondern einfach nur gut spielen willst. Das ist wahre Größe.