Retro ist schick, und Old School ist trend. Klingt besser
als altmodisch und ist an sich nichts Schlechtes. Ich bin kein Wegwerf-Fan und
es freut mich diebisch, dass alte Gegenstände bei der nächsten Generation wieder
eine gewisse Wertschätzung erfahren, nachdem wir, die Generation Golf, groß
geworden sind mit „schmeiß weg, kauf neu“.
Shpock und eBay Kleinanzeigen treten in ernste Konkurrenz
zum klassischen Flohmarkt. Finde ich gut, nutze ich auch und wenn meine Kinder
hingebungsvoll in alten Comics aus den Siebzigern blättern, ist das irgendwie
süß und man wird ein bisschen nostalgisch.
Nostalgie jedoch gehört ins Museum oder in den Wohnzimmerschrank, aber keinesfalls in die Schule! Unser Schulsystem ist marode und
veraltet und nach den neuesten PISA-Ergebnissen schlichtweg katastrophal. Ich
glaube, das habe ich schon mehrmals geschrieben. Das ist angesichts der verworrenen Lehrpläne und der veralteten Lernstrukturen in Deutschland ein alter Hut. Was mich mit purem
Entsetzen erfüllt, ist meine kürzlich gewonnene Erkenntnis, dass nicht nur
Lehrer den längst überfälligen Einsatz von digitalen Hilfsmitteln und Lehrmethoden bremsen, sondern
die Eltern. Obwohl bei nüchterner Betrachtung und dem Bestreben sämtlicher
Unternehmen und Ämter nach Digitalisierung eigentlich jedem klar sein muss: Die
Ära von Gedrucktem neigt sich ihrem Ende. Bücher machen sich gut im Regal, aber
alltagsrelevant sind heute andere Medien. Wenn ich eine Gebrauchsanleitung
suche, finde ich sie bei Google. Statistisch belegt setzen sich 74% der Grundschüler mit digitaler Technologie auseinander und 93% der 11-14jährigen. Und wie arbeiten die Schulen hier mit?
Fünf Jahre hintereinander besuche ich den Elternsprechtag im
Gymnasium meiner Söhne und fünf Jahre hintereinander passiert das Gleiche wie
zu meiner Gymnasialzeit vor über dreißig (!) Jahren:
1. Der Lehrer begrüßt. 2. Der Lehrer geht zum
Tageslichtprojektor. 3. Der Lehrer schält den Projektor ein. 4. Der Lehrer legt
eine Folie auf.
Nach den foliengestützten Vorträgen der Lehrkräfte habe ich
mich beim letzten Mal tapfer nach eBooks für unsere Kinder erkundigt, da der
Schulranzen eines Fünftklässlers im Schnitt über zehn Kilogramm wiegt. Und was höre
ich von einem aufgebrachten Vater: Er will nicht, dass sein Kind mit elektronischen
Medien lernt, weil es sich zu schnell ablenken ließe. Ich benötige beruflich
einen PC, wie jeder heutzutage. Der zitierte Vater saß im Elternabend mit einem
Notebook. Hmm… Finde den Fehler. Danke, setzen, sechs!
Die Lehrerin hingegen, die den Projektor betrieben hat,
steht nicht nur der Nutzung von eBook-Versionen der Schulbücher, sondern auch
dem Vokabellernen mit Apps am Smartphone aufgeschlossen gegenüber. (So kann man
beim Autofahren übrigens prima lernen.) Immerhin, es gibt noch Hoffnung.
Liebe Eltern, Nostalgie gehört ins Museum, nicht ins
Klassenzimmer. Wenn unsere Kinder sich von den elektronischen Medien zu schnell
ablenken lassen, dann deshalb, weil sie den richtigen Umgang bisher nicht
gelernt haben. Smartphones im Wert von mehreren Hundert Euro sind nicht nur für
Youtube und Instagram gemacht. Damit kann man arbeiten. Kinder müssen den Umgang
mit elektronischen Geräten lernen, so wie sie stillsitzen und schreiben und mit
Besteck essen lernen. Das passiert ganz bestimmt nicht, wenn wir sie einfach
allein lassen mit der Wii, dem iPad und den ganzen anderen teuren Gadgets, die
wir alle natürlich besitzen und natürlich auch unseren Kindern zur Verfügung
stellen – wir wollen ja keine Außenseiter herziehen.
Also nichts wir ran an die neueste Lernsoftware! Bewegen Sie
die Lehrer zum Einsatz von Moodle, spielen Sie die Vokabel-App aufs Smartphone
und lassen Sie ihr Kind die Hausaufgabe oder einen Haushaltsplan als Word- oder
Excel-Dokument erstellen. Denn irgendwann kommt das echte Leben – dann wird der
souveräne Umgang mit elektronischen Hilfsmitteln vorausgesetzt, und nicht das
faltenlose Umblättern von Buchseiten.
(Und so sieht das Leben ohne diesen ganzen
Elektronik-Schnickschnack aus…)