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Montag, 24. Januar 2011

Alles Egoisten außer mir

Im morgendlichen Berufsverkehr wird man von anderen Fahrzeugen geschnitten, an Zebrastreifen angehupt, am Bahnsteig von der Tür weggerempelt und so weiter. Jeder lebt in seiner eigenen Welt und ist nur um seine Belange bemüht.
Immer, wenn ich „Notting Hill“ mit Hugh Grant sehe, werde ich neidisch auf unsere angelsächsischen Nachbarn, die auf einer idyllischen, da überaus höflichen Insel leben. Mr Grant alias William Thacker, der personifizierte englische Gentleman, stellt einen Ladendieb: Er weist ihn höflich auf die Überwachungskamera und den beobachteten Diebstahl hin. Als mögliche Lösung stellt er ihm frei, das Buch zurückzulegen. Ansonsten müsse leider die Polizei anrücken. Nach einem kurzen Dialog entscheidet sich der ertappte Übeltäter für die erste Option. Ist das nicht beneidenswert?
Wir Deutschen leben in einer Ellbogengesellschaft - egal ob im Verkehr, im gesellschaftlichen Umgang miteinander oder im Berufsleben. Immer! Auf der Straße gilt nicht das Verkehrsschild, sondern die größere Menge an PS und Courage. Im Kindergarten werden bereits die Kleinsten darauf getrimmt, sich von anderen nur ja nichts gefallen zu lassen. Das Verhalten von Erwachsenen möchte ich gar nicht näher analysieren, so sehr beschämt es mich manchmal. Sich selbst ertappt man viel zu oft dabei, barsch und ungehalten zu sein anstatt mit ein paar freundlichen Worten das gleiche oder vielleicht ein besseres Ergebnis zu erzielen.
Da ich ein Gutmensch bin, arbeite ich daran, mich nicht mehr in diese Spirale von Schimpfen und Beschimpft werden hineinziehen zu lassen. Ich fahre im Straßenverkehr rücksichtsvoll, bemühe mich um einen höflichen Tonfall und lege bei der Erziehung meiner Kinder großen Wert auf Höflichkeit und gute Manieren. Und ich ärgere mich eigentlich nur noch darüber, dass nicht alle so sind wie ich.
Nun habe ich in der letzten Zeit auf meiner Realitätsfluchthilfe (= mp3-Player) einige Stücke von Dieter Nuhr gehört. Darunter war auch jene Sequenz, in der er darüber spricht, wie anstrengend Menschen sind, die sich ohne genaue Kenntnisse über brisante Themen auslassen. Wie recht er hat, dachte ich mir im ersten Moment. Diese blöden Schwätzer, die man am liebsten mit der Bratpfanne zum Schweigen bringen möchte, sind neben der Rücksichtslosigkeit das andere große Übel meiner Zeitgenossen.
Einige Zeit später saß ich im Zug und mir schwante, dass es Nuhrs Erfolg nach zu urteilen viele Menschen gibt, die genauso denken. Was fürderhin dazu führte, dass ich mich fragte, ob nicht vielleicht auch viele Menschen meine Meinung über unsere Gesellschaft von Egoisten teilen. Wenn ja, wäre ich die Einzige, die als höflicher, rücksichtsvoller Engel hoch über allen anderen schwebt? Mir kam ein schrecklicher Verdacht: Vielleicht sind wir ganz viele, die sich  bemühen, aber ... Ich saß im Zug, hob meinen Kopf und erblickte verkniffene Gesichter um mich. Ernst dreinblickende Menschen, die um die Schlechtigkeit der Welt und aller anderen wissen? Ich ahne Schreckliches: Ich bin genauso. Wir sind Leidensgenossen. Der schlimme Satz aus dem Zeugnis wird zur erschreckenden Wirklichkeit: Sie bemühte sich.
Vielleicht sollte man einen Code entwickeln, mit dem wir, die Änderungswilligen, uns gegenseitig anstupsen, wenn wir besonders grimmig dreinschauen oder doch mal wieder auf die Hupe rutschen, weil ausgerechnet der Pkw vor uns auf einer einspurigen Straße bei endlosem Gegenverkehr links abbiegen möchte. Vielleicht hat jemand eine Idee?
Vorschläge, Anregungen und hilfreiche Kontakte werden dankend entgegengenommen!

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