Es gibt solche Menschen, die in anderen stets das Gute sehen. Sie wissen schon, die netten, die sich um ihre Nächsten sorgen und kümmern. Die sich ehrenamtlich engagieren und allzeit hilfsbereit sind. Die vier Kinder in die Welt setzen und diese ausschließlich mit viel Liebe und noch mehr Geduld großziehen. Ohne Strafe, ohne Geschimpfe und ohne Drohungen. Ohne Geschrei und ohne Klapse. Die mit Freude an Gesprächsrunden teilnehmen, ruhig und sachlich diskutieren und danach fröhlich und guter Stimmung mit anderen ein bisschen über Allgemeines plaudern. Die Familienfeste lieben, weil man dort all die lieben Verwandten trifft. Die mit anderen befreundeten Gruppen mehrtägige Ausflüge unternehmen - mit hunderprozentigem Gemeinschaftsprogramm. Und die ehrlich betroffen sind, wenn der meistgehasste Kollege von seiner Frau verlassen wird.
Ich bin das Gegenteil: Ich liebe meine Ruhe und schätze individuelle Freizeit als eines der höchsten Güter, die ein menschliches Wesen besitzen darf. Ich freue mich, wenn ein unangenehmer Mensch Pech hat. Ich hatte noch nie das Bedürfnis, einen Beliebtheitswettbewerb zu gewinnnen. (Was auch nie der Fall sein wird.) Andere Meinungen interessieren mich genau so weit, wie sie mit meiner übereinstimmen oder wenigstens einen wohlüberlegten Hintergrund erkennen lassen. Habe ich das Gefühl, jemand plappert einfach nur ein bisschen daher, was er (oder sie) irgendwo gehört hat, werde ich richtig fies und bösartig. Elternabende, Betriebsfeiern und ähnliches vermeide ich so gut wie möglich. Inzwischen besitze ich extra für Gruppenveranstaltungen fast jedweder Art ein reichhaltiges Repertoire an Ausreden, die mich von der Teilnahme befreien. Meist kommt es bei solchen Versammlungen irgendwann zu einem Eklat, Streitereien oder neuen Busenfreundschaften, die wenig später zu den peinlichsten Momenten des Lebens führen.
Richtig schwierig wird es bei der Familie. Ich mag sie wirklich alle (na ja, jedenfalls die meisten) - und am liebsten in homöopathischen Dosen. Paarungswilliger Nachwuchs und Fortpflanzungsfreude lassen die Reihen regelmäßig dichter werden. Leider fehlt mir immer noch die perfekte Ausrede, die mich, für alle einleuchtend und zweifelsfrei, entschuldigt. Oder ein ordentliches Sedativum, das solche Zusammenkünfte erträglich macht. Ganz ehrlich: Auch meine Kinder empfinde ich zeitweise als extreme Geduldsprobe. Leider war Geduld noch nie meine Stärke.
Zum Glück ist Weihnachten weit weg und die Wände unserer Wohnung sind dick. Und endlich begreife ich, warum mein Onkel sich schon seit ewigen Zeiten ebenso vehement wie erfolgreich gegen ein Hörgerät sträubt. Ein sehr netter Mensch übrigens, niemals schlecht gelaunt...
Ich gebe zu, ich bin ein bisschen neidisch.
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