Ich gebe es zu, ich habe einen Facebook-Account. Ich nutze ihn allerdings selten, da mich Grillwürste und Schokotorten anderer Menschen nicht interessieren. Noch weniger deren Auswirkungen in Form abfotografierter Anzeigen einer Körperwaage (Aktualisierung vor und nach dem Stuhlgang). Oder Einträge wie „Die Sonne scheint“ respektive „Es regnet“. Danke, auch ich besitze Fenster.
Aus diesem Grund habe ich die Hälfte meiner Freunde wieder gelöscht oder deren Ergüsse ausgeblendet. Taktvollerweise ergeht keine Mitteilung an die Betroffenen. Übrig blieben nach der Selektion viele Zeitgenossen, die sich nur selten zu Wort melden. Dafür zeichnet diese Einträge dann wirklich etwas Besonderes aus. Gestern hat ein Freund aus Grundschultagen ein neues Foto eingestellt. Aufgenommen wurde es um 1980. Es zeigt seinen Vater, seinen älteren Bruder und ihn selbst vor ihrem orangefarbenen VW-Bus, fertig für die alljährliche Fahrt nach Griechenland.
Wahrscheinlich kennt jeder von uns dieses nostalgische Gefühl, das einen bei solchen Bildern überfällt. Unsere Kindheit war beständig: Möbel, Fahrzeuge, Urlaube, es war eine ganz eigene, streng geregelte Welt. Entsprechend wehmütig oder freudig wurde das Foto von anderen kommentiert.
Ich fragte mich bei diesem Bild, ob unsere Kinder später auch solche Empfindungen haben werden, solche Erinnerungen beim Anblick einer einzigen Szene. Und was könnte diese eine Szene sein? Ein verkaufsoffener Sonntag mit Flohmarkt bei Ikea? Liegestühle an Hotelpools rund um den Globus, die morgens um sieben mit einsamen Handtüchern belegt sind? Abgehetzte Weihnachtsfeiertage, an denen man von einer Familie zur nächsten vagabundiert?
Viel Beständigkeit gibt es in unserem Leben nicht mehr. Mobilität ist das Losungswort von heute, Kommerz und Flexibilität. Wir brauchen uns an keine Termine und Verabredungen mehr zu halten, wir haben Handys. Das Sofa, das wir vor zwei Jahren gekauft haben, passt nicht zum neuen LCD-Fernseher, also weg damit. Abenteuer mit Abschleppdiensten und Fremdenführern in Spanien, Honolulu oder der Türkei? Gibt es im Robinson-Club nicht.
Dafür gibt es mehrtägige Zwangs-Aufenthalte in überfüllten Flughäfen, Mama als strippende „Miss Marriott Mallorca“ oder die Taxifahrt über den Arlbergpass, weil Papa Stanton und Stuben verwechselt hat. Das menschliche Gehirn ist anpassungsfähig. Vielleicht finden wir das auch irgendwann lustig. Und träumen nur noch heimlich von alten orangefarbenen VW-Bussen.
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Donnerstag, 30. Juni 2011
Mittwoch, 29. Juni 2011
Sommer Null Elf
Das Thermometer pendelt sich bei rund 30 °C ein, und ich weiß nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Das Gute: ich befinde mich in bester Gesellschaft. Die Deutsche Bahn leiert wegen Stuttgart 21 weiterhin wie eine gesprungene Langspielplatte etwas von „demoktratisch legitimiert“ und „viiiel leistungsfähiger ohne teuere Nachbesserungen“. Beträfe es nicht jede Menge Menschen einer Stadt, die sechs Jahre mein Zuhause war, würde ich mich schon jetzt auf die dummen Gesichter freuen, wenn demnächst die Nachrichten voll sind mit einstürzenden Häusern und einer voraussichtlichen Verdoppelung von Kosten und Bauzeit. Beides ist nicht möglich, sondern zu einem hohen Grad wahrscheinlich. Verantwortlich wird dafür dann ein polnischer Leiharbeiter sein, der zwei Stahlträger falsch verbaut hat. Die großen Herren der DB erfreuen sich derweil in ihren Fincas auf Malle und Westerland des schönen neuen Ferrari, den die letzten Boni ihrer Dienstzeit ermöglicht haben. Bis es soweit ist, werden weiterhin veraltete Strecken und Züge für ein lagerfeuerähnliches Gemeinschaftsgefühl am Bahnsteig sorgen.
Was des einen Boni ist des anderen Fahrkarte und Parkausweis. Denn warum soll sich ein Chef (dessen Tochter, seine Freundin, der Hundesitter des Nachbarn) eine MVV-Karte, den Parkausweis, das Handy, die Jahresmitgliedschaft im Fitnessclub und den Bürobedarf für die nächsten zwanzig Jahre selbst kaufen, wenn man es doch viel bequemer dort holen kann, wo man sein Gehalt empfängt. Gilt selbstredend nur für die Führungsetage und deren Anhang. Ich werde mich beruflich neu orientieren: Putzfrau für den Nachbarn (m)eines Chefs. Dann habe ich endliche keine Unkosten mehr.
Hoffen wir, dass Frau Merkel nicht auch in der Hitze deliriert und aus Versehen Deutschland an China verscherbelt. Würde wahrscheinlich nicht mal groß ins Gewicht fallen. Ob unsere Steuern der nächsten dreißig Jahre an Griechenland vorgestreckt werden oder an China ist eigentlich egal. Wobei mir China fast noch lieber wäre. Endlich moderne Handys und Züge für alle! Nie mehr gekochte ICE-Fahrgäste und den Tiefbau haben sie garantiert auch besser im Griff.
Mittwoch, 15. Juni 2011
Menschen in Schubladen
Es heißt, man darf sie da nicht hineinstecken. Toleranz ist das Motto unseres Jahrhunderts. Jeder soll nach seiner Façon glücklich werden. Dafür bin ich auch, unbedingt! Ich bin sogar ausgesprochen tolerant! Solange jeder Mensch eine kleine Insel für sich allein besitzt und keinen anderen mit seinen Marotten belästigt. Nach den jüngsten Bewegungen unserer tektonischen Platten stehen die Chancen dafür ganz gut. Das Problem der zunehmenden Bevölkerungsdichte dürfte sich mit einigen Spaltungen ebenfalls lösen. Bis es so weit ist, muss ich mich aber noch ein bisschen aufregen über die manchmal schwer erträglichen Eigenheiten und Macken meiner Mitmenschen.
Es gibt sie in allen Lebensbereichen (Arbeit, Familie, Freizeit): Personengruppen, auf die ich gut verzichten könnte.
1. Der Schwätzer: notorisch unterwegs mit dem größten Auto, der schönsten Frau, dem besten Job und dem coolsten Lifestyle (gern in der Loooontsch). Nach der kürzestmöglichen Einleitung (»Hi«) folgt ein ausführlicher Exkurs über die eigene Befindlichkeit. Gefolgt von der detaillierten Erläuterung der Gründe für diesen Zustand. Wie, was und warum ist dabei Nebensache. Will der aufmerksame Zuhörer doch in allen Belangen wissen, was für ein Superheld ihm da wertvolle Stunden seiner Zeit widmet. Eine gute Fluchtmöglichkeit ist der Satz „ich muss jetzt zu meiner Ehec- (Noro-/ Ebola-) Nachsorge und prüfen lassen, ob ich noch ansteckend bin“.
2. Der Pleitegeier: finanziell stets am Ruin, egal, wie hoch das Einkommen ist. Mit fünfhundert Euro auf dem Konto werden achthundert ausgegeben, statt tausend Euro zweitausend, und eine Erbschaft wird innerhalb weniger Monate komplett verjubelt. Er erwartet sein Gehalt vier Wochen im Voraus. Und er wird niemals lernen, mit Geld besonnen umzugehen. In der Küche steht der neueste Jura-Kaffeevollautomat, die wenige Monate ältere Saeco lagert derweil (einsatzbereit) im Keller, während Amazon die DeLonghi versandfertig macht. Die ist nämlich noch viel besser als die beiden anderen zusammen. Flüchten ist zwecklos. Man sollte jedoch niemals mehr als drei Euro im Geldbeutel haben.
3. Der Schwindler: Der schwierigste Typus, möchte man doch aus reinem Selbstschutz eigentlich gar nicht wissen, wie sehr man von seinen Mitmenschen zum Besten gehalten wird. Wobei zu unterscheiden ist, ob jemand lügt, weil es der Beruf erfordert (Verkäufer, Journalisten, Schauspieler). Oder ob es sich um eine Angewohnheit handelt. Ich meine die geschönten Geschichten, die erst später als solche sichtbar werden. Diese Gruppe lügt, weil sie die Wahrheit nicht sagen will, um sich selbst zu schützen, um andere zu manipulieren oder aus reiner Gewohnheit. Es dauert oft lange, bis man die Mitglieder als solche erkennt. Sie lassen sich nicht einbremsen durch Enttarnung oder Flucht. Sie verfolgen einen, wohin man geht.
Eines Tages werde ich mich rächen. Ich weiß noch nicht wie, aber ich arbeite daran. Bis dahin lasse ich sie, wo sie hingehören: in Schubladen. Und als Unwort des Jahres schlage ich Toleranz vor.
Es gibt sie in allen Lebensbereichen (Arbeit, Familie, Freizeit): Personengruppen, auf die ich gut verzichten könnte.
1. Der Schwätzer: notorisch unterwegs mit dem größten Auto, der schönsten Frau, dem besten Job und dem coolsten Lifestyle (gern in der Loooontsch). Nach der kürzestmöglichen Einleitung (»Hi«) folgt ein ausführlicher Exkurs über die eigene Befindlichkeit. Gefolgt von der detaillierten Erläuterung der Gründe für diesen Zustand. Wie, was und warum ist dabei Nebensache. Will der aufmerksame Zuhörer doch in allen Belangen wissen, was für ein Superheld ihm da wertvolle Stunden seiner Zeit widmet. Eine gute Fluchtmöglichkeit ist der Satz „ich muss jetzt zu meiner Ehec- (Noro-/ Ebola-) Nachsorge und prüfen lassen, ob ich noch ansteckend bin“.
2. Der Pleitegeier: finanziell stets am Ruin, egal, wie hoch das Einkommen ist. Mit fünfhundert Euro auf dem Konto werden achthundert ausgegeben, statt tausend Euro zweitausend, und eine Erbschaft wird innerhalb weniger Monate komplett verjubelt. Er erwartet sein Gehalt vier Wochen im Voraus. Und er wird niemals lernen, mit Geld besonnen umzugehen. In der Küche steht der neueste Jura-Kaffeevollautomat, die wenige Monate ältere Saeco lagert derweil (einsatzbereit) im Keller, während Amazon die DeLonghi versandfertig macht. Die ist nämlich noch viel besser als die beiden anderen zusammen. Flüchten ist zwecklos. Man sollte jedoch niemals mehr als drei Euro im Geldbeutel haben.
3. Der Schwindler: Der schwierigste Typus, möchte man doch aus reinem Selbstschutz eigentlich gar nicht wissen, wie sehr man von seinen Mitmenschen zum Besten gehalten wird. Wobei zu unterscheiden ist, ob jemand lügt, weil es der Beruf erfordert (Verkäufer, Journalisten, Schauspieler). Oder ob es sich um eine Angewohnheit handelt. Ich meine die geschönten Geschichten, die erst später als solche sichtbar werden. Diese Gruppe lügt, weil sie die Wahrheit nicht sagen will, um sich selbst zu schützen, um andere zu manipulieren oder aus reiner Gewohnheit. Es dauert oft lange, bis man die Mitglieder als solche erkennt. Sie lassen sich nicht einbremsen durch Enttarnung oder Flucht. Sie verfolgen einen, wohin man geht.
Eines Tages werde ich mich rächen. Ich weiß noch nicht wie, aber ich arbeite daran. Bis dahin lasse ich sie, wo sie hingehören: in Schubladen. Und als Unwort des Jahres schlage ich Toleranz vor.
Montag, 6. Juni 2011
Segensreiche Erfindungen ...
... sind ein Gewinn für die Menschheit! Dazu zählen Penicillin, Solarstrom, Essen auf Rädern, Walkman respektive mp3-Player (lebensnotwenig für jeden Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel), Frauen, Kaffee, Heizdecken. Und vieles mehr, was mein tägliches (Über-)Leben ungemein erleichtert.
Leider gibt es auch etliches, was von Sadisten erfunden wurde. Kein vernünftiger Mensch braucht diese Großraumwaggons in Zügen. Nach den neuesten Plänen der DB sollen sie künftig übrigens noch größer werden. (Ist es eigentlich Zufall, dass die wichtigsten Köpfe der Bahn so unglückverheißende Vornamen wie Grube und Käfer haben?)
Ein weiterer Alptraum: Freibäder, auch genannt Familienbäder. Wer Zweifel an sechzig Prozent stark übergewichtiger deutscher Staatsbürger hat, verliert sie beim Betreten einer solchen Einrichtung in den ersten fünf Sekunden. USA-Kingsize, wohin man blickt. Dass es bei einer gewissen Gesellschaftsschicht normal ist, den Abfall einfach liegenzulassen, davon zeugen auch sämtliche anderen öffentlichen Orte. Ich war mindestens acht Jahre nicht mehr im Freibad. Unmittelbar nach dem Eintritt wusste ich wieder, warum.
Und wer zum Teufel kam auf singende Gondoliere in einer vermodernden Stadt? Das hat sich doch Steven King ausgedacht. Oder einer dieser korrupten italienischen Päpste aus dem späten Mittelalter.
Werbung? Kein Mensch braucht sie, sie kostet ein Vermögen, und sie vermittelt einem großen Teil unserer Co-Existenzen ein völlig falsches Bild vom Leben und was man dafür benötigt. Mal ganz abgesehen davon, dass sie inzwischen landläufig ein Synonym für Lügenmärchen ist.
Außerdem bringt sie mich um wunderbare Sequenzen rund um meine geliebten Spielfilme. Früher gab es im Fernsehen Filme, Serien, Nachrichten. Und davor oder danach eine Art „zehn Prozent extra gratis“: den Vorspann, oder, etwa seit den siebziger Jahren, den Abspann. Während man in aller Ruhe die Namen der Darsteller respektive Moderatoren lesen konnte (ach, der ist das), liefen im Hintergrund liebevoll gestaltete Zeichentrickfilme, entfallene Szenen oder man sah die Caprishorts unter dem Jackett des Moderators.
In Zeiten teurer Werbemillisekunden wird das alles wegrationalisiert. Ein Hoch auf die DVD, eine weitere Errungenschaft der Neuzeit, die mir endlich wieder den Zugriff auf intellektuelle Kindersendungen ermöglicht.
Kermit, Miss Piggy? Applaus, Applaus, Applauuuuuuuussss!!!
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