Es gibt Dinge, die ändern sich nie. Meinen Eltern habe ich früher den einen oder anderen Schnitzer verschwiegen. Um ihnen Kummer zu ersparen. Und mir den Ärger.
Inzwischen bin ich erwachsen. Und nach wie vor ein Gegner der totalen Offenheit. Ich halte es da mit den östlichen Ländern. Warum soll ich meine Umwelt unnötig in Angst, Schrecken oder Ärger versetzen? Meine Kinder müssen nicht wissen, dass ich ab und zu (pssst!) rauche. Ganz heimlich und äußerst selten, vielleicht dreimal im Jahr. Was mein Mann alles nicht unbedingt zu wissen braucht, sprengt den Rahmen dieses Posts. Zumal es keine schlimmen Sachen sind. Weder Banküberfälle noch ermordete Großmütter oder die Affäre mit dem Musiklehrer meines Sohnes. Davon weiß er längst. Ich meine die kleinen Zwischenfälle, die, nun ja, praktisch folgenlos bleiben, niemandem Schmerzen verursachen und beim Entdecken nur unnötige Auseinandersetzungen hervorrufen. Mit dieser Philosophie bin ich übrigens nicht allein. Mein Bruder zum Beispiel erzählt zuhause grundsätzlich nicht, wenn er zum Eisklettern geht. Ein Bekannter verschweigt seit Jahrzehnten seiner Umwelt erfolgreich, dass er schwul ist, und Merkel & Co verheimlichen vor uns so gut wie alles.
Heute habe ich meinen Sport vorzeitig abgebrochen. Die Trainingseinheit nennt sich Power-Workout und lebt von und mit schneller, lauter Musik und viel Bewegung. Was genau meinen Bedürfnissen Freitag abends nach einer stressigen Woche entspricht. Richtig austoben nannte man das früher. Als Frau über dreißig ist das mit dem täglichen Fangen und Verstecken spielen leider aus verschiedenen Gründen vorbei. Deshalb fließt mein Schweiß nur freitags, und dann in Strömen. Heute war unsere Trainerin verhindert und der Ersatz, eine groß gewachsene Mittfünfzigerin, ging direkt nach der Aufwärmrunde zum Pilatesprogramm am Boden über. Samt Meditationsmusik. An dieser Stelle sei erwähnt: Pilates erregt in mir ähnliche Gefühle wie morgendlicher Stop-and-Go-Verkehr. Ja, es ist effektiv und schonend und überhaupt ganz wundervoll - mich macht es jedoch nur furchtbar aggressiv. Unzählige Haltungsangaben, verschiedene Atemtechniken, auf die man achten soll, und bewegt wird dazu abwechselnd der rechte große Zeh oder das linke Knie.
Nach zehn Minuten bin ich also geflüchtet. Es folgte der übliche Wortwechsel: Warum ich ginge (weil ich Workout machen will und keine Zeitlupengymnastik), dass Pilates aber minnnn-destens genauso gut sei (ich mag es aber nicht; genau deshalb gehe ich zum Workout und nicht in Pilates). Ja, und dann stand ich da, mit all meiner überschüssigen Energie und einer enormen Wut im Bauch angesichts dieser blödsinnigen Diskussion. Erstens bin ich erwachsen und zweitens bezahle ich für diesen Sport. Warum muss mich rechtfertigen, wenn ich statt der erhofften Entspannung nur weiteren Ärger erlebe und deshalb vorzeitig aufhöre? Da die Halle direkt an einen großen Wald grenzt, wollte ich mich ersatzweise noch ein wenig mit dem Fahrrad austoben. Allerdings stellte ich schnell fest, dass angesichts der Dunkelheit auch dieses Programm wenig glückverheißend war. Frustriert machte ich mich auf den Heimweg, grummelnd und brummelnd und sinnierend - und fast forward, wie immer. Eine meiner Eigenheiten: Ich kann mich nicht langsam bewegen. Ich brauche Speed!
Schnell durch eine Stadt radeln und nebenher im Kopf diverse Kämpfe und Diskussionen ausfechten ist, man ahnt es, keine gute Kombination. An einer Kreuzung stieß ich mit einer anderen Radlerin zusammen. Ich bemerkte sie just in dem Moment, als wir, Räder und Pedale ineinander verhakt, abrupt zum Stehen kamen. Keinem von uns war etwas passiert. Ich entschuldigte mich mehrmals, weil ich dermaßen gepennt hatte. Und sie fragte mich netterweise, ob ich okay sei. So eine versponnene Mid-Agerin, mag sie gedacht haben.
Sie trug übrigens einen Fahrradhelm. Genauso wie ich. Und obwohl wir nicht gestürzt sind, bin ich im Nachhinein ausgesprochen froh über den Kopfschutz. Über ihren nebenbei bemerkt ebenso wie über meinen.
Den Unfall selbst habe ich zuhause bisher erfolgreich verschwiegen. Es gibt Dinge, die behält man besser für sich. Aber ich glaube, das erwähnte ich bereits.
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Freitag, 30. September 2011
Montag, 26. September 2011
Volksfest in Petropawlowsk-Kamtschatki
Die Russen sind bekanntlich ein trinkfreudiges Volk. Ich habe einen slawischen Nachnamen - nicht ganz zufällig, sondern als Ergebnis verschiedener historischer und ethymologischer Entwicklungen. Und ich lebe in einer Gegend, wo ein Bier früh morgens um zehn völlig normal ist. Es gibt Momente im Leben, da habe ich das Gefühl, diese Konstellation ist nicht gut. Andererseits ist Alkohol in meiner Wahlheimat nicht gerade billig, insbesondere Ende September, Anfang Oktober. So kommen mir die schwäbischen Wurzeln meiner Ahnen zugute. Einhundert Euro investiere ich lieber in Urlaub als in ein Besäufnis. Im Übrigen bevorzuge ich Wein. Was es nicht besser macht.
Ist doch gerade alles so verzwickt und vertrackt, dass ich bezweifle, ob solche Menge an Alkohol überhaupt existieren, um sich diese Welt schön zu trinken. Wo habe ich meine Kinder nur ausgesetzt?
Wir erhöhen die finanzielle Unterstützung eines bankrotten Landes mit der Begründung, wir profitierten später selbst von diesen Krediten - wenn auch unsere Liquidität nach vielen verpufften Milliarden zum Teufel geht. Um eine höhergestellte Person zu zitieren, die nicht namentlich genannt werden will: Wir zahlen unsere Schulden später mit unserer Kreditkarte. Super! Ich bin in einem überdimensionalen Monopoly gelandet. Noch eine Schlossallee, noch eine Zusatzsteuer, nur ins Gefängnis wandert schon lang keiner mehr. Statt dessen gibt es Boni, Abfindungen, Prämien - nur für die Guten, also die Bösen versteht sich.
Ergänzend dazu hat die WHO (vielleicht war es auch WWF oder CERN) festgestellt, dass Jugendliche von heute weltweit weniger über Sex und dessen Folgen aufgeklärt sind als vor zwanzig Jahren. Vielleicht hätte das jemand dem Heiligen Vater beim Heimatbesuch erzählen sollen. Als gute Nachricht der Woche quasi. Ich bin sicher, aus lauter Freude und Erleichterung wären gleich noch ein paar Hexen verbrannt worden. Ein Großinquisitor versteht sich hervorragend auf solche Dinge, das wissen wir. Allein schon die Stimme! Hat ihn jemand gehört? Der lässt Wasser zu Eis gefrieren, so kalt klingen seine Worte.
Aber nein, ich will hier keine persönlichen Ressentiments einfließen lassen. WIR sind Papst, das allein zählt. WIR tragen knallrote Designerschuhe für eintausend Euro. Könnten sich die meisten von uns sonst doch gar nicht leisten! Dass der gute Mann samt seiner kruden Ansichten direkt aus dem Mittelalter zu uns emporgestiegen ist? Da sehen wir lässig drüber weg.
Wenigstens passt er hervorragend zu den übrigen Granden neo-germanischen Ursprungs. Das Merkel, „Ich-Wolfgang-Kaiser-und-Gott“, der Rollende, all die Middelhoffs und Mehdorns und sonstigen Maximierungsspezialisten, was den eigenen Nutzen angeht. Monopoly-Monarchen par exellence.
Letzte Woche, die Woche davor und diese Woche stand ich mit meiner S-Bahn beinahe täglich irgendwo zwischen hier und dort auf den Gleisen. Stellwerkstörung, Signalstörung, die Geleise vom vorigen Zug belegt, gähn. Eine extra Tapferkeitspreis verdient der Fahrer, der per Lautsprecher morgens um acht einigen hundert Leuten erklären musste, dass „dieser Zug abgestellt“ würde. Zu viel los auf den Schienen, hieß es. Richtig kuschelig wurde es, als wir alle aus- und später in die nächste, leider schon vollbesetzte Bahn einsteigen mussten. Ich bin sicher, die DB, geritten, pardon geführt von Herrn Loch oder Falle oder wie er heißt, löst auch dieses Problem in naher Zukunft gewohnt gründlich, um nicht zu sagen bestgeplant: Die dritte Klasse wird ihr Revival erleben. Außen ein paar Trittbretter angeschraubt und aufs Dach Kissen und Taue. Die Logenplätze sind ganz vorn, im Ochsengeschirr vor dem Triebwagen. „Kein Pferd kann so tot sein, das wir es nicht mehr reiten können.”
Ein dreifaches Prosit der Gemütlichkeit! In nomine Santa Mafia, et Opus Dei et Spiritus Sanctus, damit's besser brennt. Amen.
Ist doch gerade alles so verzwickt und vertrackt, dass ich bezweifle, ob solche Menge an Alkohol überhaupt existieren, um sich diese Welt schön zu trinken. Wo habe ich meine Kinder nur ausgesetzt?
Wir erhöhen die finanzielle Unterstützung eines bankrotten Landes mit der Begründung, wir profitierten später selbst von diesen Krediten - wenn auch unsere Liquidität nach vielen verpufften Milliarden zum Teufel geht. Um eine höhergestellte Person zu zitieren, die nicht namentlich genannt werden will: Wir zahlen unsere Schulden später mit unserer Kreditkarte. Super! Ich bin in einem überdimensionalen Monopoly gelandet. Noch eine Schlossallee, noch eine Zusatzsteuer, nur ins Gefängnis wandert schon lang keiner mehr. Statt dessen gibt es Boni, Abfindungen, Prämien - nur für die Guten, also die Bösen versteht sich.
Ergänzend dazu hat die WHO (vielleicht war es auch WWF oder CERN) festgestellt, dass Jugendliche von heute weltweit weniger über Sex und dessen Folgen aufgeklärt sind als vor zwanzig Jahren. Vielleicht hätte das jemand dem Heiligen Vater beim Heimatbesuch erzählen sollen. Als gute Nachricht der Woche quasi. Ich bin sicher, aus lauter Freude und Erleichterung wären gleich noch ein paar Hexen verbrannt worden. Ein Großinquisitor versteht sich hervorragend auf solche Dinge, das wissen wir. Allein schon die Stimme! Hat ihn jemand gehört? Der lässt Wasser zu Eis gefrieren, so kalt klingen seine Worte.
Aber nein, ich will hier keine persönlichen Ressentiments einfließen lassen. WIR sind Papst, das allein zählt. WIR tragen knallrote Designerschuhe für eintausend Euro. Könnten sich die meisten von uns sonst doch gar nicht leisten! Dass der gute Mann samt seiner kruden Ansichten direkt aus dem Mittelalter zu uns emporgestiegen ist? Da sehen wir lässig drüber weg.
Wenigstens passt er hervorragend zu den übrigen Granden neo-germanischen Ursprungs. Das Merkel, „Ich-Wolfgang-Kaiser-und-Gott“, der Rollende, all die Middelhoffs und Mehdorns und sonstigen Maximierungsspezialisten, was den eigenen Nutzen angeht. Monopoly-Monarchen par exellence.
Letzte Woche, die Woche davor und diese Woche stand ich mit meiner S-Bahn beinahe täglich irgendwo zwischen hier und dort auf den Gleisen. Stellwerkstörung, Signalstörung, die Geleise vom vorigen Zug belegt, gähn. Eine extra Tapferkeitspreis verdient der Fahrer, der per Lautsprecher morgens um acht einigen hundert Leuten erklären musste, dass „dieser Zug abgestellt“ würde. Zu viel los auf den Schienen, hieß es. Richtig kuschelig wurde es, als wir alle aus- und später in die nächste, leider schon vollbesetzte Bahn einsteigen mussten. Ich bin sicher, die DB, geritten, pardon geführt von Herrn Loch oder Falle oder wie er heißt, löst auch dieses Problem in naher Zukunft gewohnt gründlich, um nicht zu sagen bestgeplant: Die dritte Klasse wird ihr Revival erleben. Außen ein paar Trittbretter angeschraubt und aufs Dach Kissen und Taue. Die Logenplätze sind ganz vorn, im Ochsengeschirr vor dem Triebwagen. „Kein Pferd kann so tot sein, das wir es nicht mehr reiten können.”
Ein dreifaches Prosit der Gemütlichkeit! In nomine Santa Mafia, et Opus Dei et Spiritus Sanctus, damit's besser brennt. Amen.
Donnerstag, 22. September 2011
... Urlaub heute
Als ich volljährig war, konnte ich endlich reisen, in die Welt hinaus, wohin der Wind mich trug, wie lange ich wollte. Und das Geld reichte. Wir schreiben die frühen neunziger Jahre, es gab noch keine Zwanzig-Euro-Flüge und das Internet steckte in Babyschühchen. Also ging es im Sommer für ein paar Tage nach Südtirol. Meine Freundin war schon mit eigenem Auto mobil. Und es wurde immer ein Erlebnis! Fahrradtouren, Wanderungen, Bummeln und Disco-Besuche, wir hatten unseren Spaß und kamen braun gebrannt und glücklich heim.
Später, mit meinem Mann, unternahm ich Motorradtouren. Die Distanzen wurden größer: Unsere Reiseziele hießen Elba, Sardinien oder Südfrankreich; die Unterbringung erfolgte im Zelt oder unter freiem Himmel. Wir fuhren irgendwann los, irgendwann weiter und irgendwann heim. Dazwischen lagen Tage mit viel Spritverbrauch und wenig Kultur. Geplant war bis auf die ungefähre Route gar nichts. Da wir in der Nebensaison reisten, stand uns für gewöhnlich überall die ganze Zeltwiese zur Verfügung, vom Bodensee bis Barcelona. Ruhe und Erholung pur!
In den letzten Jahren sind unserem exklusiven Freizeitclub zwei neue Mitglieder beigetreten. Die Urlaube finden in den Schulferien statt und Shoppingtouren mutieren zur vierfachen Null-Lösung. Ich gebe zu, das vermisse ich. Dafür residieren wir auf gut besuchten Campingplätzen mit jeder Menge anderer Familien und verbringen die Abende nurmehr selten einsam vor dem Zelt.
Am liebsten fahren wir zum Kalterer See. Dort erleben wir bei jedem Aufenthalt interessante und amüsante Begegnungen und faszinierende Momente. Im vergangenen Urlaub zum Beispiel ganze Kolonnen schwedischer Wohnmobile in Omnibus-Größe. Vielleicht wollten sie die Elche nicht allein zuhause lassen.
Warum man in Niederbayern den Saeco-Kaffeevollautomaten (und die vollständige Wohnungseinrichtung, Kinderzimmer inklusive) in einen Wohnwagen packt, wurde uns ausführlich bei einem Glas Wein erklärt. Verstanden haben wir es trotzdem nicht. Es gibt Dinge, die kann man nur staunend hinnehmen, hinterfragen ist zwecklos. Zwei Erwachsene, ein Kind, ein Renault Espace und ein Maxi-Caravan, eine zehnstündige Marathon-Fahrt und eine ebenso lange Aufbauzeit. (Vorzelt, Teppich für das Vorzelt, Schränke für das Vorzelt, Hängeregale für das Vorzelt, Küche für das Vorzelt, Einräumen der Möbel, Schränke, Regale und so weiter.) Seither wissen wir, wo man ganz in der Nähe den günstigsten Wein abgefüllt bekommt und - nicht ganz so nah - Espresso im Angebot, nämlich in einem Großmarkt am Gardasee. Was sind schon zweihundert Kilometer, wenn das Jahreskontingent an Kaffeepulver gedeckt werden muss.
Eigentlich ist Camping-Urlaub wie Schule, nur dass man fürs Leben lernt. Zum Beispiel Menschenkenntnis. Oder wie man sich ohne Eltern durchs Leben schlägt. (Lösung: Man lädt sich bei den Nachbarn ein.)
Und es gibt Highlights, die sind einmalig und nicht zu übertreffen. Lustige Abende mit Menschen, die man kaum kennt und trotzdem besser versteht als die eigenen Geschwister.
Eine Wagenburg von drei Familien hatte für den Nachwuchs ein extra Kinderzelt aufgebaut und dort einen Kino-Abend vorbereitet. Die Eltern besuchten eine nahe gelegene Hofschänke (die mit dem günstigen Abfüll-Wein), und das Kinderzelt war innerhalb weniger Minuten mit jeder Menge weiterer minderjähriger Besucher gefüllt, unter anderem auch den unsrigen und denen zweier Freundinnen. Die Kinder amüsierten sich bestens, gut versorgt mit Chips und Saft, wir Erwachsenen mit reichlich Wein und einer gewaltigen Kerze. Und alle, wirklich alle, waren zufrieden und glücklich. Wir diskutierten über die Schule, unser Rentensystem, Hochtouren im Gebirge und die Wirtschaftskrise. Thomas, ein temporärer Gast, bekam von Otto einen feuchten Kuss und versuchte beim Anblick unserer entsetzten Gesichter, uns von Ottos Kuschelqualitäten zu überzeugen. Es entspann sich eine lebhafte Diskussion. Thomas blieb allerdings in all seinen Versuchen, uns umzustimmen erfolglos. Ich fürchte, er war der Einzige, der später etwas frustriert zu Bett ging. Im Gegensatz zu uns. Und Otto, seiner neunzig Kilogramm schweren Dogge.
Unser Lieblings-Urlaubsstichwort zur Aufheiterung lautet „Kalterer See“.
Und nächstes Jahr geht‘s wieder hin. Spätestens!
Später, mit meinem Mann, unternahm ich Motorradtouren. Die Distanzen wurden größer: Unsere Reiseziele hießen Elba, Sardinien oder Südfrankreich; die Unterbringung erfolgte im Zelt oder unter freiem Himmel. Wir fuhren irgendwann los, irgendwann weiter und irgendwann heim. Dazwischen lagen Tage mit viel Spritverbrauch und wenig Kultur. Geplant war bis auf die ungefähre Route gar nichts. Da wir in der Nebensaison reisten, stand uns für gewöhnlich überall die ganze Zeltwiese zur Verfügung, vom Bodensee bis Barcelona. Ruhe und Erholung pur!
In den letzten Jahren sind unserem exklusiven Freizeitclub zwei neue Mitglieder beigetreten. Die Urlaube finden in den Schulferien statt und Shoppingtouren mutieren zur vierfachen Null-Lösung. Ich gebe zu, das vermisse ich. Dafür residieren wir auf gut besuchten Campingplätzen mit jeder Menge anderer Familien und verbringen die Abende nurmehr selten einsam vor dem Zelt.
Am liebsten fahren wir zum Kalterer See. Dort erleben wir bei jedem Aufenthalt interessante und amüsante Begegnungen und faszinierende Momente. Im vergangenen Urlaub zum Beispiel ganze Kolonnen schwedischer Wohnmobile in Omnibus-Größe. Vielleicht wollten sie die Elche nicht allein zuhause lassen.
Warum man in Niederbayern den Saeco-Kaffeevollautomaten (und die vollständige Wohnungseinrichtung, Kinderzimmer inklusive) in einen Wohnwagen packt, wurde uns ausführlich bei einem Glas Wein erklärt. Verstanden haben wir es trotzdem nicht. Es gibt Dinge, die kann man nur staunend hinnehmen, hinterfragen ist zwecklos. Zwei Erwachsene, ein Kind, ein Renault Espace und ein Maxi-Caravan, eine zehnstündige Marathon-Fahrt und eine ebenso lange Aufbauzeit. (Vorzelt, Teppich für das Vorzelt, Schränke für das Vorzelt, Hängeregale für das Vorzelt, Küche für das Vorzelt, Einräumen der Möbel, Schränke, Regale und so weiter.) Seither wissen wir, wo man ganz in der Nähe den günstigsten Wein abgefüllt bekommt und - nicht ganz so nah - Espresso im Angebot, nämlich in einem Großmarkt am Gardasee. Was sind schon zweihundert Kilometer, wenn das Jahreskontingent an Kaffeepulver gedeckt werden muss.
Eigentlich ist Camping-Urlaub wie Schule, nur dass man fürs Leben lernt. Zum Beispiel Menschenkenntnis. Oder wie man sich ohne Eltern durchs Leben schlägt. (Lösung: Man lädt sich bei den Nachbarn ein.)
Und es gibt Highlights, die sind einmalig und nicht zu übertreffen. Lustige Abende mit Menschen, die man kaum kennt und trotzdem besser versteht als die eigenen Geschwister.
Eine Wagenburg von drei Familien hatte für den Nachwuchs ein extra Kinderzelt aufgebaut und dort einen Kino-Abend vorbereitet. Die Eltern besuchten eine nahe gelegene Hofschänke (die mit dem günstigen Abfüll-Wein), und das Kinderzelt war innerhalb weniger Minuten mit jeder Menge weiterer minderjähriger Besucher gefüllt, unter anderem auch den unsrigen und denen zweier Freundinnen. Die Kinder amüsierten sich bestens, gut versorgt mit Chips und Saft, wir Erwachsenen mit reichlich Wein und einer gewaltigen Kerze. Und alle, wirklich alle, waren zufrieden und glücklich. Wir diskutierten über die Schule, unser Rentensystem, Hochtouren im Gebirge und die Wirtschaftskrise. Thomas, ein temporärer Gast, bekam von Otto einen feuchten Kuss und versuchte beim Anblick unserer entsetzten Gesichter, uns von Ottos Kuschelqualitäten zu überzeugen. Es entspann sich eine lebhafte Diskussion. Thomas blieb allerdings in all seinen Versuchen, uns umzustimmen erfolglos. Ich fürchte, er war der Einzige, der später etwas frustriert zu Bett ging. Im Gegensatz zu uns. Und Otto, seiner neunzig Kilogramm schweren Dogge.
Unser Lieblings-Urlaubsstichwort zur Aufheiterung lautet „Kalterer See“.
Und nächstes Jahr geht‘s wieder hin. Spätestens!
Dienstag, 13. September 2011
Urlaub früher ...
Ich kann mich an genau einen Familienurlaub in meiner Kindheit erinnern. Tatsächlich war es der Einzige: Er führte uns nach Südtirol, nach Lana bei Meran. Mein ältester Bruder war in der Lehre und mit achtzehn Jahren nicht mehr erpicht auf derartige Unternehmungen; er wollte lieber zuhause die Blumen gießen. Mit von der Partie waren mein mittlerer Bruder, meine Eltern und zwei Bundeswehrkollegen meines Vaters mit Gattinnen, zwei oder drei Teenagern und meiner besten Brieffreundin. Keine Hunde, keine Babys.
So fuhren wir im Sommer 1981 in einer Dreier-Kolonne über den Reschenpass.
Wer zu dieser Zeit (oder vorher) in Italien war, hat eine ungefähre Vorstellung, warum man für eine Fahrt von gut dreihundert Kilometern frühmorgens um drei starten musste. Erschwerend kam hinzu, dass zwei von drei Fahrern sich sonst ausschließlich in einem Aktionsradius von zehn Kilometern rund um ihr Heim bewegten und beim Schalten selten über den zweiten von vier Gängen hinauskamen. Der Zwischenstopp am gefluteten Kirchturm war um die Mittagszeit. Ich glaube aber, wir haben die Fahrt an einem Tag bewältigt.
Die Pension, unser aller Ziel, war etwas kleiner als das Einfamilienhaus, das sich ein bekanntes Arztehepaar hier vor kurzem gebaut hat. Darin wohnten die Eigentümer, Familie Clementi, ein Ehepaar mit drei Kindern, Patricia und Tomaso und einem Namenlosen, der sich nicht mit uns Gastkindern abgab - und wir elf (oder zwölf) Gäste. Es war Juli, es war heiß, tagsüber gab es kein Leitungswasser, weil es für den Obst- und Weinbau benötigt wurde. Die Gartenmöbel bestanden aus einer morschen Schaukel und einem wackligen Holzstuhl. Das nächste Schwimmbad war dreißig Kilometer weit weg, in einem ganz anderen Tal. Keiner der Erwachsenen interessierte sich auch nur geringfügig für Natur, Berge oder gar sportliche Betätigung in selbigen. Und täglich wurde der altersschwache Opa unserer Gastgeber aus dem Krankenhaus zurück erwartet. Für diesen musste wegen eines Erbschaftsstreits mit dem Bruder ein großes Zimmer freigehalten werden. Meine Eltern, mein Bruder und ich teilten uns dafür ein Gemach, das ungefähr so groß war wie die Besenkammer unserer Arztfreunde. Die anderen Familien waren besser dran. Nach heutigen Maßstäben entsprachen deren Räume dem knapp bemessenen Kinderzimmer im Zuhause der Arzthelferin.
Wir besuchten jeweils einmal die Seiser Alm und den Kalterer See, seinerzeit die beiden einzigen Attraktionen, von der Besuchermenge her zu schließen. Und wir gingen jeden Tag ins gleiche Restaurant. Nur dort gab es Schweinebraten, die unentbehrliche Existenzgrundlage einer übergewichtigen Exkursionsteilnehmerin. Wir hatten immer den gleichen Tisch und wussten somit, dass es hauptsächlich unsere Flecken waren, durch die das Tischtuch einer Speisekarte gleichkam. Zehn Tage Urlaub können lang sein. Auch für Kinder.
Einen richtigen Urlaub haben meine Eltern danach nicht mehr gemacht. Geschweige denn in Italien. Seit etwa zehn Jahren setzen sie sich gelegentlich in ihren Kleinbus, fahren an die Mosel oder zur Ostsee, nächtigen im Auto und gehen zum Frühstücken in kleine, lauschige Pensionen. Ich bevorzuge ebenfalls autarkes Reisen mit maximal einer erwachsenen Begleitperson.
Einzig mein Bruder hat keine bleibenden Schäden zurückbehalten. Er verreist mit Frau, den beiden erwachsenen Töchtern, deren Freunden, seiner Schwägerin nebst Gatten und gern auch noch mit dem einen oder anderen Kollegen, samt Anhang versteht sich. Er war damals sechzehn und wohl mit anderen Dingen beschäftigt. Aber das ist nur eine Vermutung. Jedenfalls gibt es zwischen uns ein paar Codewörter, die selbst bei einer Beerdigung die Stimmung heben. „Lana bei Meran“ ist eines davon.
Wie gesagt, wir machen das heute etwas anders. Was dabei heraus kommt, folgt in Kürze.
So fuhren wir im Sommer 1981 in einer Dreier-Kolonne über den Reschenpass.
Wer zu dieser Zeit (oder vorher) in Italien war, hat eine ungefähre Vorstellung, warum man für eine Fahrt von gut dreihundert Kilometern frühmorgens um drei starten musste. Erschwerend kam hinzu, dass zwei von drei Fahrern sich sonst ausschließlich in einem Aktionsradius von zehn Kilometern rund um ihr Heim bewegten und beim Schalten selten über den zweiten von vier Gängen hinauskamen. Der Zwischenstopp am gefluteten Kirchturm war um die Mittagszeit. Ich glaube aber, wir haben die Fahrt an einem Tag bewältigt.
Die Pension, unser aller Ziel, war etwas kleiner als das Einfamilienhaus, das sich ein bekanntes Arztehepaar hier vor kurzem gebaut hat. Darin wohnten die Eigentümer, Familie Clementi, ein Ehepaar mit drei Kindern, Patricia und Tomaso und einem Namenlosen, der sich nicht mit uns Gastkindern abgab - und wir elf (oder zwölf) Gäste. Es war Juli, es war heiß, tagsüber gab es kein Leitungswasser, weil es für den Obst- und Weinbau benötigt wurde. Die Gartenmöbel bestanden aus einer morschen Schaukel und einem wackligen Holzstuhl. Das nächste Schwimmbad war dreißig Kilometer weit weg, in einem ganz anderen Tal. Keiner der Erwachsenen interessierte sich auch nur geringfügig für Natur, Berge oder gar sportliche Betätigung in selbigen. Und täglich wurde der altersschwache Opa unserer Gastgeber aus dem Krankenhaus zurück erwartet. Für diesen musste wegen eines Erbschaftsstreits mit dem Bruder ein großes Zimmer freigehalten werden. Meine Eltern, mein Bruder und ich teilten uns dafür ein Gemach, das ungefähr so groß war wie die Besenkammer unserer Arztfreunde. Die anderen Familien waren besser dran. Nach heutigen Maßstäben entsprachen deren Räume dem knapp bemessenen Kinderzimmer im Zuhause der Arzthelferin.
Wir besuchten jeweils einmal die Seiser Alm und den Kalterer See, seinerzeit die beiden einzigen Attraktionen, von der Besuchermenge her zu schließen. Und wir gingen jeden Tag ins gleiche Restaurant. Nur dort gab es Schweinebraten, die unentbehrliche Existenzgrundlage einer übergewichtigen Exkursionsteilnehmerin. Wir hatten immer den gleichen Tisch und wussten somit, dass es hauptsächlich unsere Flecken waren, durch die das Tischtuch einer Speisekarte gleichkam. Zehn Tage Urlaub können lang sein. Auch für Kinder.
Einen richtigen Urlaub haben meine Eltern danach nicht mehr gemacht. Geschweige denn in Italien. Seit etwa zehn Jahren setzen sie sich gelegentlich in ihren Kleinbus, fahren an die Mosel oder zur Ostsee, nächtigen im Auto und gehen zum Frühstücken in kleine, lauschige Pensionen. Ich bevorzuge ebenfalls autarkes Reisen mit maximal einer erwachsenen Begleitperson.
Einzig mein Bruder hat keine bleibenden Schäden zurückbehalten. Er verreist mit Frau, den beiden erwachsenen Töchtern, deren Freunden, seiner Schwägerin nebst Gatten und gern auch noch mit dem einen oder anderen Kollegen, samt Anhang versteht sich. Er war damals sechzehn und wohl mit anderen Dingen beschäftigt. Aber das ist nur eine Vermutung. Jedenfalls gibt es zwischen uns ein paar Codewörter, die selbst bei einer Beerdigung die Stimmung heben. „Lana bei Meran“ ist eines davon.
Wie gesagt, wir machen das heute etwas anders. Was dabei heraus kommt, folgt in Kürze.
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