Ein gutes neues Jahr wünscht man sich in diesen Tagen überall. Eigentlich kein Wunder. Was erwartet uns wohl in diesem mysteriösen Jahr 2012, das vor wenigen Stunden angebrochen ist? Der Beginn zumindest war vielversprechend: Jede Menge Raketen und Böller, die meisten davon sogar zwischen zwölf und eins, kaum tragische Zwischenfälle und ein schöner, klarer Neujahrsmorgen. Vielleicht ein wenig zu mild, aber was ist schon so, wie es früher war? Meine Partys sind es jedenfalls nicht. Früher gefror mir in der klirrenden Kälte der Sekt im Glas, heute wird gemütlich in der warmen Stube angestoßen, bevor die Gesellschaft gegen halb eins schweren Herzens für fünf Minuten nach draußen geht. Wir trinken uns nicht ab halb acht einmal quer durch die Hausbar und zurück. Und am Tag danach googelt man nach entwässernden Tees und zündet Lemongras-Räucherstäbchen an, wegen der Nachwirkungen von zwei Gläsern Sekt. Das Feiern ist deutlich anstrengender geworden in den vergangenen zehn Jahren. Und teurer sowieso. Früher gehörten zum Raclette-Zubehör Erbsen, Mais und Ananas aus der Dose, dazu gab es Scheiblettenkäse und sehnigen Schinken. Heute haben wir einen heißen Stein und Rinderfilet mit Käse vom Feinkosthändler. Dafür entfacht der Alkohol innerhalb kürzester Zeit wirklich alle bekannten Nebenwirkungen, und ein paar unbekannte noch dazu. Und warum wir uns brav allerorts die besten Wünsche zum neuen Jahr übermitteln, liegt auf der Hand. Keiner von uns hat so wirklich eine Ahnung, was wir da eigentlich feiern. Droht der Untergang der ungeliebten Währung, findet der Partner eine neue Liebe oder meldet der Arbeitgeber Insolvenz an? Und das sind noch die harmlosen Katastrophen... Trotzdem feiern die meisten von uns Silvester gerne gut und am liebsten feucht-fröhlich; Freunde und ein paar Raketen sollten dabei nicht fehlen. Wir haben auch welche abgeschossen (Raketen, nicht Freunde!), jede mit einem individuellen Wunsch fürs neue Jahr. Mein Sohn, sein Schulkamerad und ich haben um ein gutes Zeugnis ersucht. Kann nie schaden.
Paradoxerweise empfinden genau die Menschen, die an Silvester Korken und Feuerwerkskörper knallen lassen, bei ihrem Geburtstag eher Grauen als Freude. Kein Wunder: Mit jedem Lebensjahr nehmen die Falten zu, die grauen Haare sowieso, von den Pfunden rede ich gar nicht mehr, und diverse körperliche Defizite lassen einen fast täglich spüren, dass man nicht mehr zwanzig und zu allen Schandtaten fähig ist. Ein kleiner Ausrutscher auf vereisten Straßen, und Knie und Lendenmuskeln geben mir noch zwei Wochen später das Gefühl, ich sei einen Marathon gelaufen. Mindestens. Warum feiern Menschen also lieber ein neues Jahr als den Beginn eines neuen Lebensjahres?
Der Effekt ist der gleiche: wir werden älter. Nur im einen Fall gleicht die Empfindung wohl eher der Roulette-Devise „neues Spiel, neues Glück“.
Deshalb gebe ich mir bis zu meinem Geburtstag im April eine Hausaufgabe: Ich schreibe eine Liste mit zehn Dingen, die ich irgendwann in den nächsten Jahren tun werde - oder könnte. Wenn meine Kinder älter sind, falls mein Mann mich verlässt, oder einfach so, weil ich bisher nicht dazu gekommen bin. Man muss doch schließlich einen Plan B für die Zukunft haben. Oder besser noch mehrere.
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