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Montag, 31. Dezember 2012

Blick zurück nach vorn

Das Jahr 2013 steht in den Startlöchern und man weiß nicht so recht, soll man eine Bilanz des vergangenen Jahres ziehen oder all die Ärgernisse einfach hinter sich lassen und ohne Vorurteile neu durchstarten.
Wilhelm hat erfolgreich seine Käthe erobert, jetzt ist sie schwanger und ganz England aus dem Häuschen. Was fällt unseren deutschen Korrespondenten dazu ein? Manche posten in den (a-)sozialen Netzwerken, dass sie sich nicht selbst gegen Kinder und für die Karriere entscheiden, um von anderer Leute Bälger zu berichten. Und andere ereifern sich über die anrüchige Geschäftstüchtigkeit der Großeltern in spe. Die Familie des schönsten Hinterteils seit Aphrodite verkaufe jetzt Artikel für Babypartys, nachdem die älteste Tochter zum royalen Brutkasten aufgestiegen sei. Pfui sowas aber auch.
Frau Merkel stimmt uns in ihrer Neujahrsrede auf ein hartes Jahr ein. Damit gehe ich, wohl zum ersten (und letzten) Mal absolut konform mit unserer Kanzlerin. Wir bezahlen Journalisten tatsächlich dafür, dass sie Geschäftsleuten vorwerfen, mit ihrer Arbeit Geld zu verdienen! Die Eltern von Kate Middleton sind durch den Erfolg ihres - Achtung - Versands für P-A-R-T-Y-Artikel reich geworden. Okay, wir leben in einem kinderfeindlichen Land, diese Erkenntnis ist nicht neu. Das zeigt sich nicht zuletzt an der Entwicklung unserer Geburtenrate. Bekommt jemand Nachwuchs, werden zuallererst sämtliche Nachteile des Familienlebens ausführlich aufgezählt und erörtert. Positives Feedback erhält man eher selten. Jene mit größeren Kindern erzählen, wie schön es ist, wenn man das undankbare Pack endlich vom Hals hat, die mit kleineren fahren ungefragt das vollständige Repertoire an Horrorstorys auf: Von der dramatischen Geburt über die schmerzhaften Stillprobleme bis hin zu den schlaflosen Nächten bis weit ins fortgeschrittene Erwachsenenalter des Nachwuchses hinein.
Ebenfalls nicht neu ist das Problem im Umgang mit Leuten, die erfolgreich sind. Viel lieber sehen wir uns Typen an, die tatsächlich noch weniger auf die Reihe bekommen als wir selbst. Kein Versager ist gern allein.
Also ich für meinen Teil hoffe auf ganz viele Stromausfälle im neuen Jahr und eine Rückbesinnung auf traditionellere Werte als nur mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel zu ergattern. Wohin Faulheit führt, zeigt uns recht anschaulich der Werdegang der Pechmarie. Also hoch vom Sofa und raus zum Holzhacken. Ein bisschen körperliches Training ist nicht verkehrt. Vielleicht werden bald „freiwillige“ Helfer für sämtliche Arbeiten an öffentlichen Gebäuden rekrutiert, wie einst bei Michel aus Lönneberga! Die Steuern dürften spätestens ab 2014 nicht mehr reichen, die explodierenden Kosten von Euro-Rettung und Bauwerken wie BER und Stuttgarts Super-Sub-Bahnhof auch nur annähernd zu decken. Bei der Elbphilharmonie und deren Mehrkosten hat sich ausgerechnet zum fast glücklichen Ende hin auch schon wieder jemand verrechnet: Die Mehrwertsteuer wurde bei den zusätzlichen 200 Millionen Euro, die Ende November von Stadt und Baufirma ausgetüftelt wurden, nicht berücksichtigt ...  Wir dürfen gespannt sein, welche Hiobsbotschaften uns in den kommenden Wochen ereilen. Angie weiß mehr, da bin ich ganz sicher. Also nichts wie her mit den Kindern. Da ist die Gefahr am geringsten, sich zu verkalkulieren. Eine Schwangerschaft dauert 9 Monate, die Geburt ein paar Stunden und 18 Jahre später sind sie dann volljährig, unsere Früchtchen.

Prost Neujahr!

Und falls jemand sich mit eigenen Augen überzeugen will vom schamlosen Ausnützen familiärer Verbindungen, hier gehts lang:

http://www.partypieces.co.uk/

Montag, 10. Dezember 2012

Loblied auf die Presse - und die Kommentarfunktion

Es ist immer wieder erstaunlich, was man findet, wenn man lange genug sucht. Zum Beispiel habe ich nach etlichen Stunden Profi-Surfen bei Google, Yahoo & Co. erfahren, dass ein gewisser Herr Dr. Volker Kefer bis 2006 langjähriger Siemens-Manager war.
Siemens ist das Unternehmen, bei dem die Deutsche Bahn Züge bestellt, die nicht geliefert werden. Nach der letzten Verschiebung des Liefertermins auf den Sankt Nimmerleinstag verkündete der Technik-Vorstand der Deutschen Bahn AG im Radio, dass das überhaupt nichts ausmache und der Bahnkunde keinerlei Schwierigkeiten zu erwarten hätte, weil die Züge nicht dringend benötigt, sondern reine Reserve-Anschaffungen seien  (O-Ton Bayern 5 aktuell, Ende November 2012).

Der Technik-Vorstand heißt Volker Kefer. Ein Schelm, wer Schlechtes dabei denkt! Und gut, dass die Fahrpreise rechtzeitig erhöht wurden, um Züge anzuschaffen, die niemand braucht. So ähnlich scheint ja insgesamt das Vorgehen der DB zu sein... Die bestellten Nahverkehrszüge sind wahrscheinlich auch reine Wertanlage. Ausrangierte Wagen und Loks hingegen werden gründlichst verschrottet, bevor sie die private Konkurrenz aufkauft und generalüberholt. Könnte ja sonst passieren, dass ein ernstzunehmender Wettbewerb entsteht. Das wollen wir uns doch nicht mal im Traum vorstellen!

Natürlich kann die Bahn im Moment keinesfalls sagen, was an Schadenersatz für die verspätete Lieferung nicht fällig ist. Ist ja alles bestens, und Probleme gab es in der Vergangenheit so gut wie nie. Hüstel. Die jüngste Milliarden-Forderung von Herrn Dr. Kefer an den Staat für die Instandhaltung des Schienennetzes in Deutschland liegt auch ganz bestimmt nicht daran, dass Geld fehlt oder falsch verplant wird! (Nebenrechnung: Der Berliner Debakel-Flughafen hat sich bei den Baukosten bisher verdoppelt auf 3 Milliarden Euro. Für Stuttgart 21 ist noch kein einziger Meter gebohrt oder ausgehoben. Die Kosten betragen aber jetzt schon 6 bis 10 Milliarden Euro, wahrscheinlich sogar mehr.)
Herr Grube wiederum hat  nach der vorzeitigen Verlängerung seiner Amtszeit als Bahnchef nicht nur für die nächsten fünf Jahre sein Schäfchen im Trockenen, sondern auch für unbestimmte Zeit danach. Dann nämlich geht es für ihn weiter zur EADS. Die ist eher auf den Luftverkehr eingestellt. Ein paar Missgeschicke während seiner Arbeit für die Schiene dürften dann wohl als Zusatz-Qualifikation vom künftigen Arbeitgeber gewertet werden.
Solche Zusammenhänge werden in den meisten Artikeln ausgespart. Vielleich aus Platzgründen. Spitzt nicht gerade ein Journalist wie Arno Luik die Feder, erfährt man die wichtigen Informationen erst in Foren und Kommentaren - selten jedoch in den Medienberichten selbst, die ein paar schöne Sätze von den Profi-Marktschreiern zitieren und viel Spekulationen drum herum basteln.

Zum Beispiel gibt es noch die österreichische Porr AG. Das ist eine Baufirma, die in den vergangenen Jahren ein bisschen Ärger vor Gericht hatte (und immer noch hat). Inzwischen wurden Aufsichtsrat und Management neu durchgewürfelt und die eine oder andere Spielfigur ausgetauscht. Börse-express empfiehlt die Anleihe nur „sehr risikobewussten Anlegern“. Immerhin versucht das Unternehmen gerade, sämtliche Immobilien loszuschlagen, um sich noch ins Jahr 2013 zu retten. Salopp ausgedrückt könnte man sagen, die Firma befindet sich in einer Schieflage.
Warum ich das erwähne? Porr ist das einzige Unternehmen, das sich - nach mehreren erfolglosen Ausschreibungen - im Jahr 2012 bereit erklärte, für S21 einen Tunnel zu graben, unter dem Werk von Mercedes Benz hindurch. Die Arbeiten sollen im März 2013 starten. Wenn es die Porr Gruppe bis dahin noch gibt. Die anderen Aufträge sind übrigens an ähnliche Unternehmen vergeben. Bestgeplant, durch und durch.

Frau Merkel sollte allmählich hausintern ein paar Rettungsschirme aufspannen: Für die Finanzierung von Stussgart 21, für die Rettung der Porr-Gruppe (sind wir nicht alle ein bisschen Österreich), und für die Deutsche Bahn. Ach nein, geht ja nicht, die ist Staatseigentum. Damit wenden wir uns wohl am besten an unseren starken Mann in der EU. Lieber Herr Öttinger, hier haben Sie endlich Gelegenheit, Ihre als Kommissar gewonnenen Kenntnisse hinsichtlich überflüssiger Infrastruktureinrichtungen in Europa mit privaten Interessen und denen von Deutschland zu verbinden: Ein europäischer Rettungsschirm für neue Schienen, Züge und die Magistrale Paris - Bratislava sowie das Immobilienprojekt „Schlossallee“. Bis 2040 sollte die Stuttgarter Innenstadt wieder halbwegs aufgebaut sein, geschätzte Kosten 30 Milliarden Euro. Oder darf‘s ein bisschen mehr sein? Wir haben es mit korrekten Zahlen ja nicht so, siehe Schmiedel, Dietrich, Grube, Kefer, Gönner, Hauk, Mappus, Merkel, Mehdorn, Wowereit, Wulff, von Boetticher ...

Mittwoch, 28. November 2012

Pojekt K

Die Herausforderungen des Alltags bringen mich immer wieder an meine persönlichen Grenzen. Nicht leistungsorientiert, sondern in kommunikativer Hinsicht bin ich häufig vollkommen ratlos, was ich machen soll. Wie geht man mit der stetig steigenden Zahl der Super-Muttis um, die ungefragt überall ihren Senf dazugeben, alles besser wissen und aus dem Alltag von Kindern einen regelrechten Dauerwettstreit machen? Ich nenne sie nur noch Projekt-Mütter. Damit meine ich Frauen, die ihre Kinder nach einem Businessplan großziehen, mit individueller Förderung und optimaler Ressourcennutzung ab der Empfängnis, 24 Stunden am Tag. Durch Mamas Bauchdecke sowie geburtsbegleitend Mozartklänge, frisch geschlüpft ab zu PEKiP, Musik-Garten, Sportförderunterricht und in den „Früh übt sich: Wissenschaft für junge Talente Club“. Ab Kindergartenalter sind dem Leistungswahn keine Grenzen mehr gesetzt, egal ob Sport, Musik oder andere Bereiche - für alles gibt es Bambini-Gruppen, um nur ja kein Talent zu vergeuden. Engländer nennen ihre Kleinkinder Toddler, was nicht nur ausgesprochen nett klingt, sondern die Entwicklung lautmalerisch beschreibt. Toddler klingt nach unsicheren Schritten, stolpernd die Welt erobern und staunend um sich blicken. Bei uns hingegen besteht diese Altersgruppe aus den Nobelpreisträger von übermorgen, belauscht man die Gespräche der zugehörigen Eltern. Und wenn schon kein begnadeter Wissenschaftler, so ist ein Fußball- oder Tennisstar doch das Mindeste, was die ehrgeizigen Projektleiter mit ihrem Power-Programm heranziehen.
Ganz ehrlich: ich möchte mir das Zusammenleben mit einem Superhirn gar nicht vorstellen. So ein kleiner durchtriebener Perfektionist, der alle meine Fehler sofort bemerkt und mich irgendwann anzeigt, wie in George Orwells 1984. Mir reichen normale, altersgerecht entwickelte Kinder, wie es im Fachjargon so schön heißt. Die bringen uns träge Erwachsene oft genug durch aufmerksames Beobachten und Nachfragen in so manch unangenehme Situation. „Wieso wolltest du dich gerade vor der Mama von Lukas verstecken? Warum darf ich nicht lügen? Du sagst zu Leuten am Telefon doch auch immer, dass du unterwegs bist, obwohl es nicht stimmt ...“ Wer mit halbwegs gesundem Verstand wünscht sich bitteschön ein Genie zum Kind? Albert Einstein hielt seiner Frau einen Vertrag unter die Nase, der ihr schriftlich untersagte, ihren Gatten von sich aus anzusprechen. Ich bezweifle, dass er als Kind umgänglicher war. Soziale Kompetenz sieht in jedem Fall anders aus. Selbst wenn die Ellbogen-Erziehung spürbar zunimmt („Lass dir nichts gefallen und sieh zu, dass du immer der Erste bist, egal, mit welchen Mitteln“), irgendwann bekommt jeder von uns zu spüren, dass andere Werte zählen.
Aber weil Tennisspieler und Fußballer oder sonstige Sternchen in kurzer Zeit richtig viel Kohle verdienen, wenn sie bekannt sind, also dann wenigstens das! Super Idee, ihr Lieben. Viel Spaß beim Coachen und Drillen. Und den wenigen, die erfolgreich sind, wünsche ich noch mehr Spaß bei den Folgen. Auch C- und D-Promis haben Eltern. Die schauen über Kabel und am Zeitschriftenkiosk zu, wie ihre Sprösslinge, einstige Super-Bobbels, Rekord-Lodders und Unten-Ohne-Sirenen nicht mehr die Courts, Plätze und Bühnen dieser Welt unsicher machen, sondern kaffeebraune, blonde und sonstige Schönheiten mit wenig IQ und viel Geltungsbedürfnis jagen oder traurige Schlagzeilen über Alkoholsucht schreiben. Stellen Sie sich einen Tag lang vor, das sind Ihre Kinder. Ehemals berühmt, jetzt zum eigenen Abziehbild verkommen. Wer will schon täglich die dümmsten Zitate seiner Leibesfrucht lesen - schwarz auf weiß und dokumentiert für die Ewigkeit.
Meine Kinder diskutieren über das richtige Shirt für die Schule, die Schuhe, das Frühstück, das Abendessen, wann es Zeit fürs Zubettgehen ist, über den Spielzeugtag, das Aufräumen, lästige Körperpflege, Armbänder, die Farbe der Unterhose, zu weite Jeans, dicke Strümpfe, den vorzeitigen Schluss eines gemeinsamen DVD-Abends und tausend andere Kleinigkeiten. Jeden Tag. Irgendwann sind sie, wenn alles gut läuft, erwachsen, ziehen aus, haben ihr Leben selbst im Griff - und besuchen von Zeit zu Zeit ihre alten Eltern. Dazwischen ist Ruhe. Und kein Mensch liest irgendwelche Schreckensmeldungen über sie in der Zeitung. Wenn ich es mal so weit geschafft habe, bin ich richtig stolz auf mich!

Donnerstag, 22. November 2012

Verkehr verkehrt

Es gibt Nachwuchs im deutschen Schilderwald. Wahrscheinlich wird den vielen ausrangierten Politikern (u. a. weggemobbte Ex-Präsidenten, Ex-Minister, Ex-Parteichefs) eine Beteilung an Warntafel-Herstellern angeboten zur Aufbesserung der schmalen Rente. Unsere Verkehrsbeschilderung ist derart dicht bepflanzt, dass einige Hinweistafeln heutzutage regelmäßig ignoriert werden. Park- und Halteverbot zum Beispiel sind zur Dekorationsware verkommen: Regelmäßig parken in diesen Bereichen Autos für Einkäufe, Friseurbesuche und dergleichen, gern mit Warnblinkanlage, und blockieren den Durchgangsverkehr, Einfahrten oder gleich die ganze Straße. Aber getreu dem Motto "unsere Stadt soll bunter werden" kommen fleißig neue Schilder dazu. An einer zweihundert Meter langen Stichstraße prangen seit voriger Woche vier neue Zeichen: "Fahrradstraße - Autos frei". Geändert hat sich am Verkehr dadurch freilich nichts. Warum auch? Täglich beobachte ich, wie Autofahrer konsequent bei Rot über die Ampel fahren. An einem Zebrastreifen für Fußgänger anzuhalten gilt als Kavaliersdelikt. Und wer von einem Polizisten auf ein Vergehen hingewiesen wird, beklagt sich monatelang über diese himmelschreiende Ungerechtigkeit. Regeln sind schließlich dazu da, gebrochen zu werden. Das schönste Bonmot stammt von einer Mutter aus der Kindersport-Gruppe: „Mit sechzig km/h darf man in der Stadt nicht fahren. Da ist man ein Verkehrshindernis!“ Sie fährt deshalb immer achzig. Dies scheint eine weitverbreitete Meinung unter Müttern zu sein: Jeden Morgen rasen Dutzende von Autos durch Wohngebiete und gepflasterte Altstadtbereiche und halten mit quietschenden Reifen direkt an der Schultür, damit Kinder nicht dem gefährlichen Straßenverkehr ausgesetzt werden.
Vor kurzem hat mein Sohn die Fahrradprüfung abgelegt. Wir trainierten brav auf dem Verkehrsübungsplatz, besonders das Linksabbiegen - stets begleitet von meinem Mantra: „Das musst du in der Prüfung genau so machen. Und danach bitte NIE MEHR WIEDER!“ Denn die theoretische Verkehrserziehung von Schülern bedeutet in der Praxis schlichtweg permanente Lebensgefahr für die Kinder - weshalb kein einziger Praxistest Realverkehr mit Lehrern und Polizei stattgefunden hat! 

Warum ich eigentlich auf „Verkehrten Verkehr in Germany“ gekommen bin, hat aber einen ganz anderen Hintergrund: die Geisterfahrer. Sämtliche Medien überschlagen sich derzeit in Berichten über diese bevorzugt als Horror-Unfälle betitelten Tragödien. Unglücksfälle mit mehreren Toten und verursacht von lebensmüden, geistig verwirrten oder alkoholisierten Falschfahrern, geben sich fast täglich die Trauerschleife in die Hand. Interessanterweise taucht in diesem Bereich nie der Begriff Nachahmungstäter auf. Bei der Bahn wird konsequent darauf verzichtet, Selbstmörder als solche zu titulieren aus Angst, es könnten auch andere die Idee aufgreifen. Bei psychisch kranken oder unzurechnungsfähigen Menschen, die auf der falschen Fahrbahn in den Tod rasen dagegen hofft man, sie durch zusätzliche Schilder von ihrem Vorhaben abzubringen.
Angeblich läuft in Bayern seit einiger Zeit ein groß angelegter Feldversuch mit neonfarbenen Warntafeln, die eine falsche Einfahrt kennzeichnen sollen. Ergebnisse liegen demnächst vor, heißt es.
Ich habe bisher kein einziges dieser Schilder gesehen. Das mag an meinen eher sporadischen Autobahnfahrten liegen. Was mich bedenklich stimmt, ist: Wird solchen Menschen ihr Vorhaben nicht zusätzlich erleichtert durch eine Tafel, die auf die falsche Einfahrt aufmerksam macht?



Wie kann man überhaupt den Erfolg von etwas Nicht-Existentem messen? Woran erkennt man den Erfolg einer solchen Beschilderung? Vielleicht so: Die Tafeln wurden aufgestellt, und danach abgezählt, wie viele Fahrer nicht falsch auf die Autobahn gefahren sind. Das Ergebnis kann ich mir denken: Ein bisschen Neonschrift schützt effektiv vor geistig unzurechnungsfähigen Menschen. Für solche Schönrechnungen wird unser Verkehrsminister irgendwann in die Geschichte eingehen.

... Und wenn es Schilder „STOP FALSCH“ gibt, müssen dann nicht auch noch welche aufgestellt werden: „HIER RICHTIG“? Sonst könnten sich potentielle Geisterfahrer diskriminiert fühlen!

Montag, 12. November 2012

Berlin, Berlin - am A... der Bundesrepublik

Ich zitiere nur sehr ungern die deutsche Presse mit den vier Großbuchstaben. Heute bleibt mir leider nichts anderes übrig, angesichts eines besorgniserregenden Fotos und der daraus resultierenden Frage: Wie tief sind wir gesunken? Wir erinnern uns: Berlin ist Regierungssitz und Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland. Außerdem hat Berlin Schulden in Höhe von geschätzt 130 Milliarden Euro. (Baden-Württemberg hat zum Vergleich 67 Milliarden, dank Herrn Mappus und seiner Notstandsgesetze zwecks Notkäufen.) Wie sich der Flughafen oder vielmehr dessen Baustelle in den nächsten Jahren auf die Stadt mit dem Bären und deren Säckel auswirkt, steht ebenso in den Sternen wie der weitere Verlauf der Euro-Krise. Dass die S-Bahn dort ständig kollabiert, ist längst keine Schlagzeile mehr wert. Das Stadtbild ist mehr schäbig als schick - aber das kann ja durchaus auch Charme haben.Was sagte der launige Stadtvater einst so schön? Berlin ist arm, aber sexy!

Vielleicht sollten sie sich mal das Tütenrauchen während der Stadtratsitzungen abgewöhnen. Denn während unsere Volksvertreter wenigstens außenpolitisch noch halbwegs den Schein der Zurechnungsfähigkeit wahren, wird die Situation innenpolitisch bedenklich. Was ist eine der abfälligsten Bemerkungen, die man über jemanden machen kann? „Der kann nicht mal seinen Namen schreiben!“ Und jetzt das:




Mein Mitleid gilt den Ordnungshütern, die dieses Fahrzeug nutzten! Vielleicht war der Schreibfehler der Grund, warum die Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit in München stattfinden mussten. Frau Merkel hat‘s gleich bemerkt... und zuallererst an sich und ihren Ruf gedacht. (Ich würde mich auch lieber von der Polizei als von der Pozilei oder der Pilozei oder sonst wem begleiten lassen; nur original ist legal!)

Zum Glück war es ein Einzelfall. Ansonsten wäre mein Vorschlag zur Schadensbegrenzung eine Gesetzesänderung: Wir lassen künftig deutschlandweit einfach regelmäßig Buchstaben weg. Ein einheitliches farbliches Erscheinungsbild gibt es bei den Damen und Herren in Grün, Blau, Weiß und Silber schon lange nicht mehr. Noch einfacher wäre eine allgemein gültige Kürzung der Bezeichnung. Zum Beispiel könnte man sich auf die Verwendung nur der ersten beiden Buchstaben einigen. Das dürfte auch das Gefühl widerspiegeln, das diese Berufsgruppe in Sachen Ansehen bei uns häufig empfindet. Der Testlauf fürs neue Logo findet - logo - in Berlin statt. Die Bewohner sind nach den letzten fünfzig Jahren hart im Nehmen. Nicht mal Kaiser Franz als Kanzlerkandidat könnte die schockieren. Gespart werden muss ohnehin, und der Frontgaukler im Bürgermeistersessel ist sich für keinen schlechten Witz zu schade.

A propos Verschreiber: vielleicht heißt der BER in Wirklichkeit BÄR, und jetzt will ihn keiner mehr bauen, weil der Name falsch ist...

Freitag, 26. Oktober 2012

Laterne, Laterne, geh mir auf, du Licht...

Kaum ist meine virtuelle Tinte vom 17. Oktober trocken, kommt sie auch schon, die befürchtete Neubestückung unseres P.-K.-Bahnroulettes. Nix mehr Weichenstörung oder Gleisbruch! Unser Bahnchef will sich wohl beizeiten einen Platz im Ministerium für Lug und Trug sichern. Herr Grube verkündet ziemlich genau 24 Stunden vor dem diesjährigen klimatischen Winteranfang, warum in Nordrheinwestfalen in den kommenden Monaten bis zu 30% der Züge ausfallen werden. Und erpresst bei dieser Gelegenheit gleich noch die dortige Regierung. Verwirrend? Gar nicht!
Die Regierung in NRW hat vor über sechs Jahren die Abschaltung eines Kohlekraftwerks beschlossen. Und genau jetzt fällt unserem Bahnchef ein, dass er exakt diesen Strom für die Züge benötigt und überhaupt nicht darauf verzichten kann. Es folgt die öffentliche Drohgebärde von Angies Running Mate. Da muss Frau Kraft schon ordentlich beschossen werden, weil sie womöglich die vor sechs Jahren beschlossene Stilllegung nicht einfach um ein paar weitere Jahr(zehnt)e verzögern will. Herr Grube kann nämlich sonst für nichts garantieren.

Grube warnte: „Wenn die Stilllegung kommt und nichts passiert, ist die Gefahr groß, dass die Bahn an sehr kalten Wintertagen in den Morgenstunden Engpässe bei der Versorgung haben könnte. In solchen Fällen müssen wir, um einen Zusammenbruch des Netzes zu vermeiden, Züge herausnehmen.“ Dann könnten Züge stundenweise im Ruhrgebiet stillstehen oder ganz ausfallen.
Das sind geradezu furchterregende Warnungen vor noch nie Dagewesenem in der jüngeren Geschichte der DB.
 
 http://www.focus.de/reisen/urlaubstipps/bahn/bahnchef-grube-warnt-vor-stromluecken-zu-wenig-strom-beim-zugverkehr-drohen-winter-engpaesse-_aid_845943.html



Es sind nun folgende Fragen offen:

1. Meint der Bahn-Chef, diese 30% Ausfälle und Verspätungen kommen on top auf die ganz normalen winterlichen Probleme dazu, so dass letztlich ein Drittel des Fahrplans übrig bleibt?

2. Hat Herr Grube die vergangenen sechs Jahre benötigt, um sich diese Ausrede einfallen zu lassen?

3. Wäre es nicht sinnvoller gewesen, diese Zeit für die Suche nach einer Alternative zu nutzen?

4. Wie viele Jahre benötigt Herr Grube ab jetzt, um sich auf die Abschaltung eines veralteten Kraftwerkes vorzubereiten und Maßnahmen zu treffen, die mehr nutzen als blutleere Drohungen?

5. Was ist mit den unzähligen anderen Pannen der Bahn? Liegen die auch an mangelnder Energie-Zulieferung? Dann nichts wie her mit den Reaktoren!

Und was garantiert Herr Grube bei Weiternutzung von Datteln, bitteschön? Nehmen wir ihn doch einfach mal in Regresspflicht, wie die Verantwortlichen in mittelständischen Unternehmen! Wenn das Kohlekraftwerk Datteln aus Altersschwäche explodiert, darf er beim Aufräumkommando mitarbeiten. Oder: Er über unterstützt den ganzen Winter über die chronisch unterbelegten Zugbegleiter in Deutschland. (Stehen fehlende Zugbegleiter und abgeschaltete Kraftwerke eigentlich auch in einem Zusammenhang?) Der lernt doch sonst nie aus seinen Fehlern.


Und noch das Neueste von Seiten der Bahn zum Brandschutz in Stuttgart: Wir bauen, dann schauen wir, ob das Ergebnis überhaupt genehmigungsfähig ist.

"Die Bahn führte an, zum jetzigen Zeitpunkt gebe es noch keine einzige für den Brandschutz relevante Baumaßnahme bei dem Projekt. Die für Ende 2020 geplante Inbetriebnahme des Bahnhofes erfolge nur, wenn ausnahmslos alle geltenden Sicherheitsbestimmungen und Brandschutzvorgaben erfüllt würden." (dapd, 24.10.2012)

Na, da bin ich jetzt aber ehrlich erleichtert!


Mittwoch, 24. Oktober 2012

Was bleibt, wenn man geht?

Was macht einen guten Arbeitsplatz aus? Ein schneller PC, gut ausgeleuchtete Arbeitsbereiche, der ergonomische Stuhl mit Lordosenstütze? Ein generöser Chef, eine große Kantine oder Schulungen in Hotels mit güldenen Armaturen? Es ist heute schwierig, eine anständige, gut bezahlte Arbeit in einem produktiven Umfeld zu finden. Wenn man nicht einem besonders gefragten Beruf nachgeht, treibt man durch das Arbeitsleben wie auf einem Floß, immer von der Hoffnung getragen, es läuft halbwegs von allein und sinkt nicht unerwartet. Von diesem Risiko sind inzwischen sogar Angestellte des Öffentlichen Dienstes durch Zusammen- oder Stilllegung von Standorten betroffen.
Meistens ist man also schon zufrieden, wenn das Umfeld halbwegs stimmt, die zugeteilte Hard- und Software funktioniert und der Chef nicht allzu häufig unter Gallenkoliken leidet. Denn das Wichtigste am Job - mit dem ein Vollzeit tätiger Erwachsener etwa doppelt so viel Zeit zubringt wie mit der Familie - sind nicht Maschinen, Möbel oder Räume. Es sind die Menschen drum herum.
Es sind die Kollegen, die einen gern oder weniger gern zur Arbeit gehen lassen. Und es sind die Kollegen, die einem fehlen, wenn man das Betätigungsfeld wechselt. Ich hatte verschiedene Jobs, in ganz unterschiedlichen Branchen, von der Aushilfe bis zur Vorstandsassistentin, und ich habe alle irgendwann verlassen, um mir neue Herausforderung zu suchen. Meistens freiwillig. Aber egal, von welcher Seite des Tisches die Initiative ausgeht: Kündigungen sind nicht schön. Hernach folgt die große Ungewissheit. Wird es besser oder schlechter? Bekomme ich mehr Geld, einen interessanteren Job, neue Aufgaben?
Schwer gefallen sind mir die Trennungen trotzdem nie. Ich hänge nicht an Ritualen und Regelmäßigkeiten. Für mein Wohlbefinden sind keine stereotypen Hilfslinien nötig. Wo ich meinen Kaffee trinke, ist mir egal. Es entbehrt auch an Dramatik, Protokolle zu schreiben, Präsentationen vorzubereiten oder Bewerbungen zu prüfen. Das Einzige, das mir zu schaffen macht, sind die Abschiede. Mit meinen Arbeitskollegen hatte ich eigentlich immer Glück (bis auf wenige Ausnahmen, die gibt es bekanntlich überall): Ambitionierte Leute, die Leistung bringen wollten und auch mal für eine Spaß zu haben waren, interessante Menschen, die mehr zu erzählen hatten als den neuesten Büroklatsch, Personen, mit denen mich die gleiche Arbeitsauffassung und ähnliche Interessen verbanden.

Im vorigen Job habe ich häufig geraucht, weil die Arbeit so nervenzehrend war. Jeden Monat führte ich mindestens fünfzig völlig redundante Diskussionen mit erwachsenen Menschen, weil diese partout nicht einsehen wollten, dass bürokratische Notwendigkeiten leider unumgänglich sind, wenn ein Unternehmen auch vier Wochen später noch bestehen soll. Meist verbrachte ich diese Verschnaufpausen in Gesellschaft meiner Kollegin, die mich dann in ihrer ruhigen Art auf den Boden der sachlichen Sichtweise zurückholte. Verloren habe ich den Kampf schließlich doch. Es gab zu vieles, was nicht passte, und sogar fürs Einkaufen von Lebensmitteln fehlte die Zeit. Waren die Kinder im Bett, kam die Arbeit zuhause dran.
Inzwischen ist der Druck ist weg. Meine Abende genieße ich nicht mehr in der Küche oder im Waschkeller, sondern wieder ganz entspannt auf dem Sofa mit den „Mad Men“. Für jene, die die beste Serie des 21. Jahrhunderts noch nicht kennen: „Mad Men“ sind die Männer (und Frauen) der Madison Avenue, die saufend und qualmend die Welt der Werbung erklären. Nicht zu empfehlen, wenn man sich Alkohol oder Zigaretten abgewöhnen will!
Und da riss es mich dann doch wieder, ganz entspannt zu meinem Kaffee eine Genusszigarette zu rauchen, was doch bis vor kurzem ein liebgewordenes Ritual gewesen war. Ich stand da, ganz allein, und rauchte, und es war komisch. Nicht gemütlich, lustig und erhellend, sondern einsam und schal. Irgendetwas fehlte:

Anna, ohne dich schmeckt‘s nicht!

Mittwoch, 17. Oktober 2012

Industrielle Revolution in Petropawlowsk-Kamtschatki

... oder "BRD - wir wissen, wie es nicht geht"

Ein Mann springt aus vierzig Kilometern Höhe mit Fallschirm zur Erde zurück. Der Spaß kostet 50 Millionen Euro und lässt eine Handvoll Österreicher jubeln. Der Nutzen ist so hoch wie ein Energy-Drink lebenswichtig. Es ist ein Sinnbild unserer Zeit: Tausende von Menschen arbeiten an Projekten, deren Sinn fehlt oder nicht mehr erkennbar ist. Ich meine nicht den Geheimdienst und auch nicht das Opus Dei, ebenso wenig wie die Herrschaften in CERN. Ich meine Dinge, die irgendwo zwischen Planung und Ausführung stecken geblieben sind. Wo viel Geld und Energie in Fässer ohne Inhalt und Boden verschwindet, und keiner stört sich daran.

In den Achtziger Jahren wurde im Ferienprogramm ein Kinderfilm aus der DDR gezeigt. Nicht Aschenbrödel oder die Märchenbraut, sondern eine Art Realkomödie. Er handelte von einer Fabrik, in der eine gewaltige Maschine gebaut wurde. Wofür die Maschine war und wie sie überhaupt funkionieren sollte, wusste keiner der Ingenieure. Ein ordentlich zusammengeschweißter Schrotthaufen mit Knöpfen und Schaltern stand sinnfrei herum. Typisch DDR eben. Natürlich kassierte die Fabrik für das Monstrum jede Menge Subventionen. Als sich der zuständige Beamte zur Kontrolle ankündigte, wurden sämtliche Arbeiter abkommandiert, um Spinnweben und Staub zu entfernen. Vielleicht erinnert sich noch jemand an das Ende der skurrilen Geschichte? Damals fand ich es lustig, wie ein Betrug erfolgreich vertuscht wurde, ohne dass sich jemand dafür interessierte, wo das viele Geld hingeflossen war, und warum dieses Wundergerät nicht längst in Betrieb war. Typisch DDR eben.
Die DDR ist Geschichte, einverleibt in die zukunftsweisende BRD. Wie es der Film überhaupt durch die strenge Zensur schaffte, ist mir ein Rätsel. Obwohl bei uns heute offiziell Pressefreiheit herrscht, werden uns täglich Hunderte wichtiger Informationen vorenthalten, wegrezensiert von einschlägigen Interessengruppen. Die Zeitung mit den vier großen Buchtstaben zeigt uns sechsmal die Woche eine neue Sensation aus dem Leben von Geißen, Kühen, Kraken, Opossums und sonstigen zwei- und vierfüßigen Lebewesen, selten jedoch Nachrichten, die wirklich wichtig für uns, unsere Gesundheit und unsere Zukunft wären.
Und nebenbei passieren genau die gleichen Sachen wie in der DDR. Es wird gebaut und konstruiert, und es kommt nichts Funktionstüchtiges mehr heraus dabei. Früher wurden öffentliche Gebäude und Einrichtungen während der Bauphase teurer. Heute wären Berlin, Hamburg oder Stuttgart froh, überhaupt Fortschritte beim Bau ihrer Prestigeprojekten zu machen, ganz egal zu welchen Mehrkosten. Statt dessen stehen die Krane unnütz herum, sämtliche beauftragten Firmen gehen nach und nach Bankrott, die Baumaschinen schweigen. Und die meisten Medien tun das gleiche. Da haben wir der DDR doch inzwischen echt was voraus: Wir haben nicht etwas Fertiges, das nicht funktioniert, wir haben gar nichts!
Seit genau einem Jahr steht die Baustelle der Elbphilharmonie Hamburg komplett still. 323 Millionen Euro sehen so aus:

Baustelle Elbphilharmonie


Fast so schön wie der neue Flughafen Berlins, BER (bislang ca. 3 Milliarden Euro):

Baustelle BER

S21 hängt seit einem Jahr in der Abbruchphase fest. Vom neuen Bahnhof für die Landeshauptstadt Baden-Württembergs hört man selten, und wenn doch, nichts Positives. Im Wochentakt entgleisen Züge in den Schienenprovisorien, die man wegen der Abbrucharbeiten eingerichtet hat. Für die nötigen Neubauten fehlen Genehmigungen, Infrastruktur oder spezialisierte Unternehmen. Die wichtigste Brandschutzmaßnahme hat die DB bereits in der Schlichtung vorgestellt: Zivilcourage. Die funktioniert in Krisensituationen bekanntlich am allerbesten. Der Verkehrsminister hat für solche Lappalien leider keine Zeit. Er muss sich um Wichtigeres kümmern: Zum Beispiel die dringende Wiederbelebung alter Kfz-Kennzeichen, die seit über dreißig Jahren kein Mensch mehr braucht.

2013 ist Wahl. Sollte Frau Merkel mit ihrem Stab gewinnen, könnte die erste Maßnahme ein neues Ministerium sein, ähnlich geheim wie der MI 6: Ministerium für Lug und Trug, zur Wahrung des Scheins oder Ministerium zur Erfolgssimulation. Das klingt gut! Dort werden sich hochbezahlte Menschen der Aufgabe annehmen, bessere Ausreden für sämtliche staatlichen Pannen, Fehlentscheidungen und Lobby-Aufträge zu finden. Das Bahnroulette (Weichenstörung, Schnee, Signalstörung) ist inzwischen nicht mehr glaubwürdig. Ansagen am Bahnsteig, ein Zug verspäte sich um zehn Minuten, während dreihundert Menschen seit zwanzig Minuten warten, sind ein Running Gag. Den Juchtenkäfer konnte man zum Glück der grünen Pest in die Schuhe schieben, bei der Elbphilharmonie und diversen anderen Bausünden ist bereits zu viel Wahrheit ist ans Licht der - zum Glück desinteressierten - Öffentlichkeit gedrungen. Künftige Begründungen werden hoffentlich phantasievoller sein:
1. Das beauftragte Generalunternehmen wurde von Al-Kaida aufgekauft.
2. Die verantwortliche Ministerin hat sich zur Umschulung als Erzieherin entschieden und ist fünf Jahre außer Gefecht.
3. Ein Kollaborateur setzte eine neue Spezies Kakerlaken in der Baustelle aus, die Stahlvorräte, Schienen und Glaspanzerplatten auffrisst.

Ich hätte viele gute Ideen. Vielleicht können die mich brauchen... Dann sind die verantwortlichen Politiker nicht mehr einzig auf das segensreiche Privatfernsehen  angewiesen, das die Bürger sediert.

Marx bezeichnete Religion als Opium des Volkes. Er kannte RTL noch nicht.

Samstag, 6. Oktober 2012

Beck, mann!

Kurt Beck, der immer ein bisschen aussieht wie ein getarnter Weihnachtsmann auf Recherche-Tour, ist im Verlauf einer lebhaften Diskussion einem Kontrahenten drastisch über den Mund gefahren. Solche Ausdrucksweise schätze ich nicht besonders. Kinder sollten sich nicht beschimpfen, ebenso wenig wie wir Eltern, die ein akzeptables Beispiel abgeben müssen. Allerdings gibt es Ausnahmesituationen, in denen normale Regeln außer Kraft treten. Ein Schrecken für all die „Schatzilein, so was tut man doch nicht“-Se, aber so ist das Leben. Kurt Beck, nicht unfehlbar, hat vor seinem Rücktritt Fehler gemacht, ein aufgebrachter Bürger hat ihm das lautstark vorgeworfen, Beck hat sich nicht minder lautstark gewehrt. Ich weiß, ich weiß, wir sind zivilisierte Menschen und lösen Probleme in sachlichen Gesprächen. Interessanterweise gehören zu unserer ach so zivilisierten Gesellschaft über ein Dutzend offiziell anerkannte Kampfsportarten, aber praktisch keine Debattierclubs.
Für mich ist dieser Vorfall ein Paradebeispiel, wie Politik sein sollte: lebendig und drastisch. Oder anders formuliert, wenn Diskussionen nicht auch mal emotional sein dürfen, dann erstarren wir eines Tages in  geistiger Trägheit. Zur großen Freude jener aalglatten, von Kopf bis Fuß und innen wie außen dick mit Vaseline eingeschmierten Figuren, die Gefühle ebenso wenig kennen wie Unrechtsbewusstsein oder den Begriff Verantwortung, Leute, die so hölzern wirken, als ob sie abends mit ihrem Anzug zum Schlafen in den Kleiderschrank steigen. Politik ist lebendig, in Syrien brennt derzeit fast alles, Abo-Präsident Putin verliert sein Gesicht gegenüber dem demokratischen Westen nicht aufgrund diverser politischer Morde, sondern wegen der skandalösen Bestrafung einer Teenie-Popband, die bei uns inzwischen bekannter ist als Cher. Weiter so!
Ich gebe zu, Kurt Beck hat für mich als SPD-Politiker einen gewissen Sympathie-Vorsprung gegenüber den Lichtgestalten von FDP und CDU/ CSU wie Lindner, Leutheusser-Schnarrenberger oder besagtem Ex-und-hopp-Bundespräsidenten, die es fast unmöglich machen, Respekt vor der Arbeit eines Politikers zu empfinden.
Jenen Mann, den ich als Kind bis weit ins Teenager-Alter hinein für Deutschlands König gehalten habe, nahm ich erst als mehrschichtige Persönlichkeit war, als er bei einer Eierattacke den Angreifer verprügeln wollte und dazu erst einmal seine eigenen Securities wütend zur Seite stieß. Aktion - Reaktion, genau so muss es doch sein. In anderen Ländern werden Schuhe geworfen, was wesentlich aussagekräftiger ist als eine (manipulierte) Wahl oder Fernsehprogramme mit auffallend einseitiger Berichterstattung. 
Und jetzt Politskandal 2 der Woche: Kurt Beck hat kein schlechtes Gewissen wegen seines Ausrasters! Na, das will ich doch schwer hoffen. Wulff, der im Jahr 2011 ebenfalls mit Eiern beworfen wurde, marschierte ungerührt inmitten seiner Bodyguard- und Polizistenschar weiter als wäre nichts gewesen. Vaseline innen und außen: Diesen Mann berührt rein gar nichts‚ außer sein Dispokredit vielleicht. Bezeichnenderweise jammert die glamouröse Betty, die im Gegensatz zu Gattin No. 1 auf allen Partys mittanzte und -feierte, im Nachhinein, sie wäre bei allem zu kurz gekommen und überhaupt das ärmste Wesen der Welt, eine gestresste berufstätige Mutter. Wenn das keine charakterliche Übereinstimmung ist.
Ich bin gespannt, ob die Umfrage-Werte der SPD in den nächsten Tagen steigen. Wundern würde es mich nicht.
Der positive Nebeneffekt: Auf den Start- und Titelseiten diverser Medien verdrängt ein politischer Zwist all diese unerträglichen Heidis, Kims & Konsorten nebst Lieblings-Abführmittel, Live-OPs und Echtzeit-Dryhumping. ENDLICH!!!

Dienstag, 11. September 2012

Was Frauen von Männern lernen können

Wir waren im Urlaub, meine drei Männer und ich. Leider blieben unsere sportlichen Aktivitäten weit hinter meinen Plänen zurück. Der Kleinste ist gleich am ersten Tag mit dem Fahrrad in eine Kiesfläche gestürzt. Zwei Tage Ruhepause waren danach vonnöten. Es folgte eine dreitägige Schlecht-Wetter-Front, die längere Unternehmungen verhinderte. Im Anschluss daran ist der Mittlere verunfallt, und als alle Wunden verheilt waren, wechselten sich meine Söhne im „Wir haben keine Lust“-Singen ab. Die Bilanz nach vierzehn Tagen Aktivurlaub in Südtirol sind dreieinhalb Wander- und zweieinhalb Radtouren. Dafür habe ich viel gelesen, was grundsätzlich schön ist. Jedoch trägt Lesen nicht allzu viel zur Verbrennung von Kalorien bei. Diese wiederum sind in gutem Wein und Käse nicht zu knapp enthalten; eine Diskrepanz, die die Waage mir heute eindeutig unter die Nase betoniert hat.
Jetzt habe ich ein noch viel schlechteres Gewissen als während des Urlaubs, wo ich nur ab und zu daran denken musste, dass ich viel zu wenig Sport treibe. Da sitzt man in einer schönen Landschaft, umgeben von Bergen und Seen, und tut - nichts! Naja, fast nichts. Außerdem habe ich zu wenige Ansichtskarten geschrieben, meine Eltern nicht angerufen und zu viel gegessen. Ich habe trotz Navigationshilfe nicht den kürzesten Rückweg zum Auto gefunden, und ich war garstig zu meinen Kindern, weil ich nicht gemerkt habe, dass es ihnen schlecht geht. Was mache ich eigentlich richtig?

Seit wir zurück sind, besuchen die Kinder wieder Kindergarten und Hort, so dass ich in Ruhe zuhause aufräumen, waschen und putzen kann. Trotzdem habe ich ein schlechtes Gewissen, weil die beiden ja rein theoretisch auch zuhause bleiben könnten. Mama hat schließlich frei.
Muss ich zur Arbeit, habe ich sowieso ein schlechtes Gewissen. Morgens bin ich oft am Gängeln und Hetzen, damit wir zeitig aus dem Haus kommen, nachmittags hole ich die beiden erst weit nach dem Mittagessen ab, wenn die meisten anderen Kinder längst zuhause oder auf dem Spielplatz sind. Und wir unternehmen viel zu wenig!

Falls sich jemand Sorgen macht: Mit mir ist alles in Ordnung! So oder ähnlich denken viele Frauen, und wohl jede Frau, die Kinder hat. Es gibt immer, täglich, stündlich, etwas, was wir nicht richtig gemacht haben, und worüber wir uns die folgenden Tage, Wochen, Monate den Kopf zerbrechen. Das Sprichwort von der verschütteten Milch, der man nicht nachweinen soll, stammt garantiert von einem Mann! Frauen überlegen stattdessen, wie viel Milch es war, was man damit alles hätte machen können und (schlimmste Frage überhaupt): Warum habe ich sie verschüttet? Kein Mann dieser Welt befasst sich mit solchen Überlegungen. (Vielleicht, wenn wir ganz viel Glück haben, irgendwann einmal Richard David Precht, wenn seine Frau unter PMS leidet: "Bekommt sie ihre Tage und wenn ja, wieviele?")

Es gibt nun zwei Möglichkeiten. Erstens: Schlechtes Gewissen ist angeboren, und die Anlage hängt am zweiten X-Chromosom. Dagegen sind wir leider machtlos.

Zweitens: Es handelt sich um eine psychische Erkrankung, die vor allem Frauen und besonders oft Mütter trifft, ähnlich der Manager-Modekrankheit Burn-out. Ständiges Schulbewusstsein oder „Permanent guilt“. Wir Frauen machen immer alles falsch. Wir arbeiten zu wenig, sind oft unpässlich, schwächer, häufig unterkühlt, manchmal launisch, wiegen mit vierzig mehr als mit sechzehn, brüllen unsere Kinder an, schieben sie in eine Tagesstätte ab - und versinken in Selbstkritik.

Zum Glück gibt es Schlüsselerlebnisse, die ein heilsames Gegenmittel sind. Heute: Väter im Kindergarten! Die interessieren sich nämlich einen feuchten Putzlappen dafür, ob sie ihre Brut beim Umziehen zusammenstauchen und was passiert, nachdem sie sich in Richtung Ausgang umgedreht haben. Heute morgen wurde ich unfreiwillig Ohrenzeuge, wie ein Vater unter der Haustür einem anderen erzählte, dass er jetzt zum Starnberger See fährt, die heutige Brise nützen. „Und nachmittags wird sie noch stärker.“ Der andere beneidete ihn glaubhaft. Ungefähr einhundert Sekunden später klärte mich Vater No. 2 beim kollektiven Slow-Motion-Schuhwechsel in der Zwergengarderobe auf, Zeit sei relativ. In seinem Urlaub dauerte das Duschen der Familie volle zwei Stunden. „Wir sind Segler!“ Was das eine mit dem anderen zu tun hat, weiß ich nicht. Warum er es mir erzählt hat, auch nicht. Ich hasse Wind! Und ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass die, die beim Golf keine Platzreife schaffen, statt dessen in Bootsschuhe schlüpfen und an Bord einer Joppe oder Schoppe, oder wie das heißt, gehen. 

Ich kann übrigens auch zwei Stunden lang duschen, sogar ganz alleine. Und ich habe künftig nie, nie, NIE mehr ein schlechtes Gewissen, wenn ich meine Kinder zusammenstauche oder im Kindergarten deponiere, weil ich was anderes zu tun habe.

Morgen Vormittag gehe ich joggen. Oder radeln. Oder beides!

Donnerstag, 16. August 2012

Das Kreuz mit der Planwirtschaft oder wie man den Leuten einen BER aufbindet

Wir lernen aus Fehlern. Gleich nach der Geburt fangen wir instinktiv an zu schreien, weil es kalt und ungemütlich ist, und weil der Magen knurrt. Das funktioniert hervorragend. Irgendwann beginnen wir zu lernen, dass es auch falsche Entscheidungen gibt. Kinder verschütten heißen Tee, laufen zu nah am Grill vorbei oder fallen eine Treppe herunter. Meist gehen diese Unfälle zum Glück harmlos aus, und sie können das Wichtigste überhaupt damit anfangen: eine Erfahrung machen und daraus lernen.

Diese Fähigkeit, bei Kindern stark ausgeprägt, verschwindet im fortgeschrittenen Erwachsenenalter praktisch komplett. Wie sonst lässt sich der Reinfall mit BER erklären. BER, der neue Berliner Flughafen und gewitztes phonetisches Wortspiel zum Berliner Maskottchen, dessen Starttermin nun endgültig auf unbekannte Zeit verschoben wurde. Was muss ich da als Schlagzeile in der Berliner Zeitung lesen? „Noch mehr Pannen als bei Stuttgart 21“. Das ist kurios. Die Schwaben sind noch nicht mal beim Fundament. Das UNTERIRDISCHE Technikgebäude wird laut neuesten Meldungen jetzt allein von einem Fuhrunternehmen, spezialisiert auf Erdbewegungen, fertig gestellt. Das Partnerunternehmen für diesen Auftrag hat diese Woche Insolvenz angemeldet. Kann das gut gehen? Frage ich den Glaser, ob er für unsere nächste Party die Speisen und Getränke liefert? Aber alles bestens, meint der Projektsprecher. Auch das eindringende Wasser in der Baugrube ist völlig normal und kam sogar später als erwartet. Prima. Dann haben sie jetzt also ausreichend Gelegenheit, auszuprobieren, wie man das Ding trocken bekommt. Oder sollte vielleicht ein kleiner Hafen an Stelle des neunten und zehnten Gleises gebaut werden. Wie in meinem Lieblingsmärchen „Die zertanzten Schuhe“ gibt es dann Nachen, mit denen man unterirdisch quer durch die Stadt fahren kann. Wie romantisch. Die Uniform der Gondoliere kann ruhig von der DB sein; besonders die Hütchen der Damen sind sehr geschmackvoll. Das hätte schon ein besonderes Flair. 
Mehdorns Schmerz heißt BER, schreibt die Welt. Ich sehe sie schon vor mir sitzen, so in etwa fünf bis zehn Jahren, in einem Kloster, bei meditativer Einkehr: Mehdorn, Grube, Wowi und Mappus (falls er nicht vorher in einer Einzelzelle ohne geistlichen Beistand landet). Verzweifelt und doch ganz und gar in sich gefestigt: Ist doch alles nur zum Wohle des unwissenden Volkes, das gelenkt und ge(nas)führt werden muss. Zum Glück glauben das auch erstaunlich viele Zeitgenossen. Wie sonst ist zu erklären, dass nach Elbphilharmonie, Waldschlösschenbrücke oder dem AKH-Skandal in Wien immer noch von Altvorderen nach eigenem Gutdünken und entsprechend der finanziellen Unterstützung einzelner Profiteure solche Bauvorhaben entschieden werden dürfen.

Exkurs: Das Allgemeine Krankenhaus, kurz AKH Wien wurde in den Fünziger Jahren beschlossen, in den Siebzigern ging es allmählich in die Bauphase über und 1994 wurde das Gebäude in Betrieb genommen. Die Kostenentwicklung kann man sich auch ohne Phantasie vorstellen. Die Waldschlösschenbrücke hat die Region um Dresden nicht nur den Status UNESCO Weltkulturerbe gekostet, sondern auch schlappe 160 Millionen Euro (Vielleicht auch etwas mehr; die Fertigstellung soll 2012 sein... und wir haben jetzt Mitte August.) Die jährlichen Instandhaltungskosten werden derzeit auf über eine Million Euro beziffert. Dresden hat etwas über 500.000 Einwohner.
War  d a s  wirklich nötig? 

Aber zwischen all den wichtigen Meldungen über magersüchtige US-Teenager, semi-prominente Fußballer-Ex-Ehefrauen und die 10.000 Wege zum Orgasmus ohne Sex bleibt einfach kein Platz in den Nachrichtenblättern und Gazetten dieser Welt. Mir geht es auch so: Eine attraktive amerikanische Schauspielerin wurde mit einem Bekannten fotografiert, der nicht ihr Lebenspartner ist. Das sind deutlich schönere Motive als ein paar Kieskutscher, die ein hochmodernes Technikgebäude für einen Bahnhof bauen. Womit ich mich in keinster Weise über hart arbeitende Menschen lustig machen will. Aber was kommt als Nächstes? Wird unser Schornsteinfeger künftig die Statik der öffentlichen Gebäude ausrechnen? Vor kurzem wurde ich Zeuge, wie ein Kraftfahrzeugmechaniker direkt aus der Werkstatt heraus einen Arbeitsvertrag als Entwicklungsingenieur für einen großen deutschen Automobilhersteller bekam. Das ist wohl der neue Trend: vom Tellerwäscher zum Alles-Könner. Ausbildung, Studium, Fachkenntnisse? Pah! Schauspieler müsste man sein ...
Vielleicht sollte ich mich an all den amerikanischen Hausfrauen orientieren, die ihr Leben mit Hilfe bunter Pillen erträglich machen. Und dann gehe ich in die Politik: Deutschland sucht den Super-Kanzler: Til Schweiger for President!!!

Donnerstag, 2. August 2012

Hey, duda, Zschipfel!

Die Zeit rast dahin. Ich bin wochenlang nicht zum Schreiben gekommen. Inzwischen weiß kaum noch jemand, wer bei der Fußball-EM 2012 Posing-Geschichte geschrieben hat (Balotelli) oder dass Griechenland niemals Pleite gehen darf (Wolfgang Schäuble). Die Tour de France ist zu Ende. Der Sieger? Derjenige, der am besten gedopt war! In London gibt es derzeit neben den Kronjuwelen der Queen und denen von Robbie Williams jede Menge Olympioniken zu bestaunen. Allerdings waren auch hier lange vor der offiziellen Eröffnung die ersten Ausfallerscheinungen zu verzeichnen. Einige dürfen gar nicht erst hin, weil sie rassistisch sind, die anderen müssen wieder nach Hause, weil sie positiv sind, und die deutsche Presse schwankt in gewohnter Manier zwischen Begeisterung und Entsetzen über unsere Vertreter. Die Schwimmer haben enttäuscht! Die deutschen natürlich. Ich vermute an den weniger guten Plätzen allerdings kein falsches Training, sondern mangelnde medikamentöse Unterstützung. Es gibt ja auch viele Erfolge zu vermelden; nur eben in weniger „doping-lastigen“ Disziplinen. Das kennen wir doch schon. Franzi van Almsick verschwand vor fünfzehn Jahren fast zwischen der chinesischen Konkurrenz gleichen Geschlechts. Oder eben auch nicht. Wer weiß das schon so genau.
Eine traurige Nachricht der vergangenen Tage war die Todesnachricht einer deutschen Schauspielerin, die spezialisiert war auf sogenannte „schwierige Charaktere“, Susanne Lothar. Ich fand sie als Mensch sehr sympathisch, wenn ich auch nie den Zugang zu ihrer Kunst finden konnte. Von ihrem hochgelobten Auftritt als Lulu habe ich mit etwa zwölf  Jahren Ausschnitte im Fernsehen gesehen, und es war mir absolut unverständlich, was daran toll sein sollte. Eine Frau mit Hängebrüsten wälzte sich über die Bühne, mal flüsternd, mal schreiend. In dieser Hinsicht bin ich ein Kunstbanause geblieben. Was sie danach an Film- und Theaterrollen spielte, entspricht ebenfalls nicht meinem Geschmack: Verstümmelte Psychiatrie-Insassen, die Geschichte einer zu Tode gefolterten Familie oder ein zerstrittenes Paar nebst tiefgekühlter Hand im Gefrierschrank. Eine Theater-Garderobiere sprach die Schauspielerin einst an, sie sei es leid, das Erbrochene der Zuschauer aufzuwischen, die es nicht mehr bis zur Toilette schafften. Was jemanden reitet, sich solch ekelerrende Filme und Theaterstücke anzusehen, ist für mich schwer nachzuvollziehen. Ich möchte gewaltfreie Unterhaltung: Witzige Dialoge, interessante Persönlichkeiten, gern garniert mit Küssen und Sex, und mein Filmabend ist perfekt.  Keine Waffen, kein Horror und keine Psychothriller, sonst kann ich nachts nicht schlafen. Ich bin ein Weichei und stolz darauf. Unter anderem auch, weil ich nicht glaube, dass die Seele unbeschadet bleibt, wenn man sich ständig mit schlimmen Geschichten und Greueltaten auseinandersetzt. Ich will damit nicht sagen, dass alle Menschen, die Horrorfilme mögen, irgendwann loslaufen und andere Menschen niedermetzeln. Ganz bestimmt nicht alle.
Tatsache ist, dass eine Schauspielerin, die fast nur zerbrochene Figuren darstellt, im Alter von gerade mal fünfzig Jahren stirbt. Kurz nach ihrem Mann und Filmpartner, auch dieser spezialisiert auf tragische Rollen. Wenige Jahre nach einem anderen ihrer Schauspielpartner, auch dieser abonniert auf finstere Gestalten in Psychodramen. Und etwa zehn Jahre nach der Dramaturgin, die das Stück über den sadistischen Psychologen verfasst hat, bei dem sich Zuschauer im Theater übergeben müssen: Sarah Kane. Sie hat mit 28 Jahren den Freitod gewählt. (Sie erhängte sich in einer psychiatrischen Anstalt.)

Vielleicht ist das der Preis von Genialität: Hochgepriesene Geschichten, die so außergewöhnlich sind, dass die Begeisterung das Entsetzen überwiegt. Aber wie kann man sich solche Geschehnisse ausdenken oder derart überzeugend darstellen, ohne dass die eigene Persönlichkeit dabei leidet? Stephen King durchsucht jeden Abend sein ganzes Haus nach unerwünschter Gesellschaft.

Susanne Lothar war eine sehr sympathische Frau und sicher eine großartige Schauspielerin. Vielleicht hätte ihr ein bisschen mehr „Pretty Woman“ und weniger „Ultra-Othello“ ganz gut getan.

Christoph Maria Herbst ist nicht mein Lieblingsschauspieler. Es könnte an Stromberg liegen, jedenfalls geht es mir wie Jake Blues mit dem Bullenauto: Ich mag ihn nicht. Aber nach vielen brillanten Filmen gestehe ich ein: Er ist gut. Und das bringt er zum Glück auch in lustigen Rollen und als Synchronsprecher zum Einsatz. Qualität lässt sich auch weit nach Heinz Erhardt noch mit Unterhaltung verbinden.

Ich hatte gerade eine Erleuchtung: Das nächste Regen-Programm für meine Kinder ist „Willkommen bei den Schti‘s“. Aber schisser!

Mittwoch, 4. Juli 2012

Mein Leben als Stier: Ich und Europa

Europa wächst zusammen, zu einer starken Gemeinschaft. Seit 2002 haben die verschmelzungsbedürftigen Staaten der Europäischen Gemeinschaft nach langjährigen Verhandlungen und Anläufen auch das Geld zusammengelegt: zum Euro. Ursprünglich als Ecu gedacht und bis heute mit mehr Skepsis als Begeisterung akzeptiert. Gebracht hat er uns in Deutschland anfangs vor allem eine gewaltige Inflation. Bei vielen Preisen wurde nicht die Zahl, sondern lediglich die dahinter stehende Währung geändert. Die Gehälter wurden nicht mit Faktor 1:1 umgerechnet. Für mich persönlich lag der Vorteil im Wegfall des lästigen Geldwechselns vor Reisen, sowie des daraus resultierenden Mitführens mindestens drei verschiedener Devisen, wollte ich für ein paar Tage nach Italien oder Frankreich. Drei Geldbeutel waren nicht die Ausnahme, sondern einzig funktionierende Lösung, um halbwegs den Überblick über die Urlaubskasse zu behalten. Dafür gibt es heute keine Anekdoten mehr, wie das Kilo Pfirsiche, das ich mir in Riva für umgerechnet acht Mark „gönnte".
Aber die Europäische Gemeinschaft bringt uns auch in anderen Bereichen Änderungen. Zum Beispiel gibt es inzwischen in den deutschen und österreichischen Bergen auf Almen kaum noch eigene Milch oder Buttermilch zu kaufen. Die EU hat‘s verboten! Zu unhygienisch. Es sei denn, der Senn kleidet seine Milchküche auf zweitausend Metern komplett mit Edelstahl aus und bestellt einen professionellen Reinigungsservice, der dreimal täglich mit antibakteriellem Hochdruck durchputzt. Bei den Metzgereien, auch denen hier im Tal ist es ähnlich. Je gewaltiger die Produktion, desto glücklicher die Kontrolleure. Hausschlachtungen sind längst verboten. Und kein Kind kann mehr fasziniert zusehen, wie Hennen ohne Kopf durch die Gegend schießen.
Gebracht hat uns die Union außerdem so wunderbare Sachen wie ein paar Pleiteländer, mit denen wir außer der Währung jetzt auch die Schulden teilen, starken Zuwachs bei der Kriminalität aufgrund der Auflösung von Grenzen, ganz viele tolle neue Inhaltsstoffe in Lebensmitteln, die früher in Deutschland gar nicht erlaubt waren ... und natürlich das G8. Auch hier gilt: Wir passen uns den Gepflogenheiten unserer Nachbarn an. Der Erfolg dieser Angleichung war und ist mehr als zweifelhaft, aber egal! In der Fachsprache nennt sich das übrigens Schulreform. Reformiert wurde allerdings nicht die Schule, sondern die Stoffverteilung: Möglichst viel (oder noch mehr) reinstopfen in die kleinen Köpfe in möglichst kurzer Zeit. Die Einschulung von Fünfjährigen ergänzt die angestrebte Verkürzung der Ausbildung ideal. Ein abgespecktes Studium beendet den Reigen, und fortan sind unsere Führungskräfte zweiundzwanzigjährige Hochschulabsolventen. Kein Wunder, dass unsere Kinder mit fünf aufgeklärt sind und mit elf das erste Mal Sex haben. Wie sollen sie denn sonst ihre Pubertät bis zum Beginn des regulären Arbeitslebens hinter sich bringen.
Ich gebe zu, ich schiele ein wenig neidvoll auf die benachbarten Inselbewohner nordwestlich und südwestlich von uns. Vielleicht war bei der Abschottung gegen die allgemeine Gleichschaltung, ups, ich meine natürlich die allgemeine Angleichung die geographische Situation hilfreich. Die einen sind umgeben von Bergen, die anderen von Wasser, und alle haben sie, unterstützt durch einen natürlichen Schutzwall, wohl eher das Selbstbewusstsein, sich gegen Assimilation zu wehren.
Und während wir damit beschäftigt sind, uns überall anzupassen, werden in anderen Ländern mehr Kinder geboren, mehr Goldbarren vergraben, mehr Schulden gemacht und viel mehr Feste gefeiert.   

Ha здоровье!

(Ob mehr Flughäfen und Bahnhöfe gebaut werden, entzieht sich meiner Kenntnis. Das werde ich bis zum nächsten Mal recherchieren.)

Dienstag, 26. Juni 2012

Deutschland, einig Maulerland

Fußball Europameisterschaft 2004, Portugal: Der Karikaturist nimmt den deutschen Trainer aufs Korn. Rudi Völler skizziert die erfolgversprechendste Aufstellung der deutschen Mannschaft auf einem Blatt. Untertitel: "So könnte es klappen". Auf dem Blatt steht elfmal der Name „Kahn“, einmal im Tor und zehnmal über eine Spielfeldhälfte verteilt. Seinerzeit schied Deutschland nach der Vorrunde aus.
In Deutschland wurde gespottet und gehöhnt. Alle Moderatoren wussten es besser und am allerbesten natürlich das Blatt mit den vier Großbuchstaben. Zuviel unerfahrene Neulinge, alles völlig falsch geplant, altmodische Taktik und so weiter. Nach dem Kader der Altgedienten von 2000 das genaue Gegenteil: Jugendfußball. Rudi Völler trat nach dem frühen Ausscheiden dann auch brav zurück. 2002 war es schließlich nicht viel besser gewesen, trotz Finale: Die Mannschaft zu alt, die Spielweise nicht pfiffig genug, der eine zu groß, der andere zu langsam, der dritte zu blond. Richtig machen kann es uns keiner. Jürgen Klinsmann sorgt zwei Jahre später für die große Überraschung mit dem dritten Platz bei der WM 2006. „Ein Sommermärchen“, jubeln die Gazetten. Selbstverständlich erst nach dem Erreichen des Halbfinales. Davor wurde die übliche Häme über jenen Trainer ausgeschüttet, der als Notnagel für einen der meistkritisierten Jobs der Welt herhielt. Da muss eine Mannschaft mindestens den dritten Platz machen, bis die Anerkennung kommt. Dann jubeln, nach viel Kritik, plötzlich alle über die jungen Wilden Deutschlands und den super Job, den „Klinsi“ macht. Allein dieser Kosename entwertet doch jedes Lob! Seine Spieler waren übrigens zu einem Großteil die gleichen, die Völler zwei Jahre vorher eingesetzt hatte, zum Beispiel Lukas Podolski, 2006 gerade mal 21 Jahre jung, Bastian Schweinsteiger (20), Philipp Lahm (21) und Miroslav Klose, damals 26 Lenze zählend. Jürgen Klinsmann hatte trotz Märchen nach der monatelangen verbalen Dresche die Nase voll und suchte sich hernach einen dankbareren Job. Trainer beim FC Bayern München entspricht diesem Kriterium zwar nicht wirklich; aber das weiß er inzwischen auch.

2012: Fußball Europameisterschaft, Polen: Joachim Löw sinniert über die beste Aufstellung seiner Mannschaft. Die Namen rotieren, dass den Gegnern schwindlig wird. Zur Verfügung stehen lauter Ausnahme-Talente, heiß begehrt von namhaften Vereinen, souverän und hochmotiviert. Die Chancen des deutschen Kaders sind bestens, und jede Position ist doppelt mit einem erstklassigen Spieler besetzt. Eine Situation, von der jeder Trainer träumt! Ganz abgesehen von zahllosen europäischen Vereinsoberen, für die nach dem Finale die Shopping-Saison beginnt. Den Erfahrungen der vergangenen Jahre nach dürfte der Marktwert einiger deutschen Spieler in den kommenden Wochen deutlich steigen.
Und was sagen wir dazu? Wie äußert sich die deutsche Presse? „Müller bangt um seinen Platz in der Stamm-Elf“, „Gomez gegen Klose - wer setzt sich durch“ oder „Schweinsteiger: Note 5“ sind noch die freundlichsten Schlagzeilen. Es wird geunkt und orakelt und mies gemacht. Unsere Journalisten schreiben von „Zittersiegen“ und „knappen Ergebnissen“ - bei vier gewonnen Spielen im Turnier und fünfzehn Siegen in den Pflichtspielen davor. Das eine oder andere lobende Wort ist auch dabei, doch niemals frei von Skepsis und zahllosen „Ojes“ wegen unserer Angst-Gegner.
Die Journalisten können von Glück sagen, dass Joachim Löw nicht mein Temperament hat. Ich würde bei jeder Pressekonferenz mit James-Bond-Regenschirmen auf sie losgehen.

Und: Leute, entspannt euch! Es ist ein SPIEL.
Die Iren wurden nach drei Niederlagen in der Vorrunde von ihren Fans eine Viertel Stunde lang besungen. Genau das sollten wir auch tun, ganz egal ob das deutsche Team in den nächsten beiden Spielen gewinnt oder verliert. Wer Einsatz zeigt, hat Anerkennung verdient. Ich bin stolz auf eine so hervorragende Mannschaft und einen Trainer, der jeden seiner Spieler optimal einsetzen kann. Welcher Chef kann das von sich behaupten? Der Rest ist reine Form- und Glückssache. Das Recht auf einen Schnitzer hat jeder von uns. Der Unterschied ist, dass es keine acht Zentimeter großen Buchstaben in der Tagespresse auslöst, wenn ich vergesse, den Geschäftsführer zum Meeting einzuladen.

Falls Miro Klose und die anderen Jungs (sie sind übrigens ein Team, ganz egal, wer auf dem Platz steht) verlieren, und jemand trotzdem ganz laut singt, so wie die irischen Fans für ihre Mannschaft gesungen haben: das bin ich.

Samstag, 16. Juni 2012

Die Rache des Herrn Brabang

Kennen Sie Gerhard Polt? In seinem Programm „Standort Deutschland“ von 1997 gibt es eine Episode über Herrn Brabang, den asiatischen Gläserspüler, der den deutschen Gastronomen billiger kommt als ein Geschirrwäsche-Vollautomat.

Vor einigen Wochen stand ich morgens in unserer Büroküche und spülte Gläser und Tassen. Wir haben in letzter Zeit viele Besprechungen, und unsere Putzfrau, die sich auch um die Küche kümmert, bekommt Nachwuchs. Deren Vertretung erscheint nur ein- bis zweimal die Woche. Meine Kollegin wiederum hat schlaflose Nächte aus Angst, die Reinigungskräfte seien unterbeschäftigt, wenn wir zwischendurch selbst die Spülmaschine einschalten. Die Tassen würden noch bis übermorgen ausreichen ... Dumm nur, wenn sich ein paar unangekündigte Meetings dazwischen schieben. Infolgedessen stehen wir regelmäßig ohne sauberes Geschirr da.
So kam es, dass ich um halb neun in der Früh unser Bürogeschirr spülte, während im Besprechungsraum VIP-Kunden mit unserem chinesisch-stämmigen Controller und unserem Projektleiter und künftigen Niederlassungsleiter kantonesischer Abstammung über Zahlenkolonnen und potentielle Marktchancen in Asien fachsimpelten.

Ein Freund meinte, Stuttgart 21 dürfe schon aus politisch-taktischem Kalkül keinesfalls gestoppt werden, sonst müssten seine Kinder später in China Brücken bauen. Längst gefällte Beschlüsse, zukunftsweisendes Bauvorhaben etc. pp.

Vielleicht ist es aber genau umgekehrt: Weil bei uns alles so umständlich ist, ewig dauert und oftmals weder sinnvoll noch durchdacht, geschweige denn sorgfältig geplant ist, sondern rein persönliche Interessen verfolgt werden, stehen wir heute hart am Abgrund in die wirtschaftliche Bedeutungslosigkeit. Wir halten uns damit auf, uns wortreich beim Metzger zu beschweren, dass ausgerechnet „unsere“ Fleischsorte aus ist, anstatt umzudisponieren und etwas anderes zu nehmen. Wir rennen so lange herum, bis wir das günstigste Angebot eines Produkts gefunden haben, und nehmen dafür in Kauf, dass Fachgeschäfte mit Qualitätsanspruch eingehen und nur mehr billige Massenware übrig bleibt.

Herr Brabang muss sich jedenfalls nicht mehr einem Schilfrohr gleich ducken. Er hat wahrscheinlich längst das Wirtshaus übernommen und bietet darin taiwanesische Spezialitäten zu horrenden Preisen an. Der frühere Eigentümer dagegen verbringt seine Freizeit, also vierundzwanzig Stunden am Tag, am Ostbahnhof oder am Klagenfurter Platz.

Einen Vorteil haben wir noch: Wir wurden zur Kreativität und zum Mitdenken erzogen. Deshalb schalte ich die Spülmaschine bei der Arbeit einfach ein, wenn diese voll und der Schrank leer ist. Ganz egal, ob unsere Serviceleute alle vom Blitz erschlagen wurden oder zehnmal in der Woche antreten!

Und Stuttgart 21? Tröpfelt vor sich hin. Ich bin noch immer fest davon überzeugt: Manchmal wäre ein Rückschritt der größere Fortschritt.

Tipp: http://www.youtube.com/watch?v=d7VUhZbOVHc

Sonntag, 10. Juni 2012

Frage: Was ist flüssiger als Wasser?


Antwort: Lehrer, denn sie sind überflüssig. Das war in den Achtziger Jahren ein beliebter Schülerwitz. Die Schulzeit ist lange vorbei und es gibt etwas anderes, das flüssiger als Wasser ist: Geld. Auf jeden Fall verdunstet es deutlich schneller.

Das neueste Beispiel, wie schnell von sehr viel Geld praktisch nichts mehr übrig ist, heißt Thomas Middelhoff. Wir erinnern uns: Herr Middelhoff war langjähriger Chef, in Neu-Wirtschaftsdeutsch genannt Vorstandsvorsitzender, von ARCANDOR, jenem Unternehmen, dem er seinen Reichtum verdankte und das er simultan dazu so gewaltig an die Wand fuhr, dass es heute noch kracht: Hertie, Karstadt, Quelle und ein paar andere Unternehmen gehörten zu der Gruppe mit etwa achtzig Tausend Beschäftigten, die vor drei Jahren wie ein Kartenhaus zusammenfiel, hochverschuldet und nicht mehr existenzfähig. Dafür hatten sich diverse Vorstände in den Jahren zuvor eine goldene Nase verdient. Gut für sie, schlecht für die Angestellten, die zum größten Teil ihren Job verloren oder deutliche finanzielle Einbußen erlitten. Ich meine Verkäufer, kaufmännische Angestellte, Servicekräfte und alle jene, deren Jahresgehalt im unteren sechsstelligen Bereich liegt und für Familie, Wohnung, Auto und vieles mehr reichen muss. Frau Schickedanz ließ der Welt via BILD mitteilen, wie arm sie durch die Insolvenz wurde („wir leben von 600 € im Monat“) und Herr Middelhoff wollte allen Ernstes klagen, weil er doch komplett unschuldig war an der Misere. Zu Schadenersatz wurde er trotzdem verurteilt.

Und jetzt das: „Middelhoff räumt finanzielle Schieflage ein“! - Schlagzeile bei Spiegel Online, 10. Juni 2012.

An die Öffentlichkeit gedrungen ist die Peinlichkeit wegen einer Luxus-Yacht, deren Miete er nicht mehr bezahlt. Genauer gesagt schuldet er seit 2009 die Chartergebühren für das über sieben Millionen Euro teure Boot, Zinsen nicht mitberechnet. Seine Anwälte sahen sich nun zum Handeln gezwungen, also zu Erklärungen: Bekannte haben ihn, den Arglosen, falsch beraten und ihm zu Investitionen geraten, die ihm ein sorgenfreies Leben garantieren sollten, ihn statt dessen jedoch an den Rand des Ruins geführt hätten. Eine persönliche Tragödie sei dies für ihn und seine Frau. Wenn ich das richtig interpretiere, könnte man sagen: Er ist praktisch bankrott, weil er den Hals nicht vollbekommen hat.

Dafür verdient er reichlich Mitgefühl: all die Beschäftigten von ARCANDOR, die jahrelang um ihren Job gezittert und ihn teils verloren haben, die Steuerzahler, mit deren Geld die letzten Quelle-Kataloge gedruckt worden sind, unmittelbar gefolgt von der Insolvenz. Und nicht zuletzt Frau Schickedanz, die im Nerzmantel aussortiertes Obst und Schnäppchen ergattern muss, weil ihr kaum genug Geld zum Leben bleibt.

Morgen wird vielleicht in unserer neu erstarkten Einigkeit die Zeitung mit den vier großen Lettern skandieren: WIR sind pleite!“

Einen Rettungsvorschlag für Frau Merkel hätte ich noch: ein Fond, gegründet über Facebook, mit dem zu Spenden für die Yacht ausgerufen wird. Damit ihm, der holden Gattin und den Geliebten der beiden wenigstens ein bisschen Spaß am Leben bleibt.

Sonntag, 3. Juni 2012

Schatten der Vergangenheit

Irgendwo habe ich mal gelesen, bei Facebook sucht man die Leute, die man früher nicht ins Bett bekommen hat.
Daran ist sicher etwas Wahres. Allerdings war ich bislang nicht sonderlich erfolgreich bei der Suche. Viele Flammen hatte ich nicht, und die wenigen, so scheint es, sind an virtuellen Freundschaften nicht interessiert. Vielleicht haben sie sich auch so lustige Namen wie HansweißderKuckuck oder FreddyonElmStreet gegeben. Außerdem gibt es noch mehr unentdeckte Schätze aus Kindheit und Jugend zu heben. Was wurde aus dem alles überstrahlenden Star der neunten und zehnten Klasse, aus meiner ehemals besten Freundin aus dem Dorf meiner Oma (mit der ich eine Woche lang gespielt habe und dann nie wieder) oder aus der japanischen Austauschstudentin, die unsere Familienstreitigkeiten während ihres Aufenthalts mit stoischem Blick ertragen hat.
Es gäbe so viel Interessantes zu entdecken: Namen von früher, die man einmal gehört hat, flüchtige Begegnungen, Schulkameraden, die nach der fünften Klasse weggezogen sind, und Freunde, die man irgendwann zwischen Studienbeginn und erstem Kind kennengelernt und wieder aus den Augen verloren hat. Die Geschwister meiner Schulkameraden (nur die älteren versteht sich!). Alte Freunde meiner Brüder, deren Namen mir seit dem Kindergarten im Gedächtnis sind, jedoch weder Gesicht noch markante Eigenschaften. Der boxende Diakon, bei dem mir als Zehnjähriger die ersten Zweifel am Katholizismus und seinen Regeln kamen. 
Eigentlich müsste man diese Menschen doch finden, denke ich immer. Ist heutzutage nicht jeder Zweite ein C- oder D-Promi? Haben nicht neun von zehn Personen ihre eigene Homepage, mit Vita, Erfolgsstory und Referenzen? Immer mal wieder fällt mir ein Name ein, ein Gesicht von früher, und ich frage mich: Was aus dem wohl geworden ist?

Kurzum, sie sind nicht auffindbar. Was in den meisten Fällen vielleicht auch besser so ist. Tatsächlich finde ich nämlich die wenigsten Leute im Netz. Es sind Schatten der Vergangenheit, dazu bestimmt, ewige Mysterien zu bleiben.

Schade, denke ich im ersten Moment. Gefolgt von einer gewissen Beruhigung, dass  wir trotz Internet und weltweiten Suchmaschinen nicht problemlos alles über jeden in Erfahrung bringen können. Immerhin wäre dies dann auch in die umgekehrte Richtung möglich: Everybody‘s brother ist watching you! Wer will das schon? All die Freaks, die sich mit runtergelassener Hose in der Öffentlichkeit präsentieren, ich weiß. Jedoch erhärtet sich mein Verdacht, dass es daneben sehr viele gibt, die nicht mitmachen beim großen Exhibitionismus-Ringelreihen. Vielleicht sind sie sogar in der Mehrheit. Menschen, die diese Form des Sichpräsentierens nicht praktizieren. Die nicht ihr ganzes Leben einschließlich der Familie, ihrer Freunde und des Arbeitgebers lauthals in die Welt zwitschern oder brüllen. Nicht-Wissen kann auch eine Gnade sein: Der einst begehrteste Junge meines Heimatdorfes hat heute dreißig Kilogramm zu viel um die Leibesmitte, einen fehlenden Eckzahn und eine Familie, die ihn nur noch in Form des zu zahlenden Unterhalts interessiert.

Und wen die Neugier zu sehr treibt, der sollte sich bei jemand anderem live nach dem Verbleib der Person erkundigen. Ganz klassisch, wie in den alten Krimis: Mein Grundschulheld ist Arzt geworden; ein Idol aus Jugendtagen tödlich verunglückt. Der Schulkamerad meines ältesten Bruders, der vom Bonanza-Rad bis zu den Skiern mit Paraplug alles als erster besaß, ist vor einigen Jahren an einer Überdosis Drogen gestorben. Und der Diakon entschied sich gegen das Sakrament der Priesterweihe - und für die Ehe. Immerhin.

Mittwoch, 23. Mai 2012

Ab in die Luft

Facebook geht an die Börse. Tag Drei danach: Die Aktien liegen weit unter dem Ausgabepreis und die Börsenaufsicht ermittelt. Aus dem Hype wird ein Debakel. Zumindest für den normalen Kleinanleger. Ein paar wenige machen den Reibach, alle anderen ein dummes Gesicht. Was soll man da sagen? Mir fällt da spontan der Rummelplatz ein. Es gibt jede Menge Leute, die sich auf dem Jahrmarkt einen Luftballon für zehn Euro kaufen. Selbst schuld, hat man früher gesagt. Hier ist der Luftballon eine Aktie, und die Naivität der Käufer löst weltweite Bestürzung und die Suche nach dem Schuldigen aus. Schuld woran? Es wird weder ein Produkt noch eine Dienstleistung verkauft. Facebook ist nichts anderes als eine Seifenblase, eine hübsche Hülle, gefüllt mit ... Luft. Vor ein paar Jahren gab es die Lokalisten. Kennt die noch jemand? Google bietet seit kurzem ebenfalls eine Kontaktbörse an und legt die grandiosen Einfälle eines begnadeten Künstlers tagesaktuell gratis obendrauf. Echten Wandschmuck brauchen wir in unserem virtuellen Alltag nicht mehr. Wahrscheinlich gibt es in ein paar Jahren die Volkskrankheit „Geierhals“. Facebook und Co. sind Ideen, nicht Werte. Der Kopf, der dahintersteckt, ist wertvoll. Die Ideen sind unbezahlbar. Oder heiße Luft. Der Grat ist schmal.
Es ist ohnehin erschreckend, wie finanzielles und ideelles Vermögen geradezu inflationär verschleudert wird. (Meine Oma hat, ein paar Jahre jünger als ich, ein Brot für zwei Billionen Mark gekauft.) Was der Bildzeitung ihre „Horror“-Meldungen, sind den Politikern die Milliarden. Mit den Sixpack-Nullen vor dem Komma wird jongliert, als ob es sich um Spielgeld handelt. Kauf den Schlossplatz, gehe nicht über den Kölner Dom, zahle an Frau Merkel fünfzig Prozent deines Vermögens für die Rettung desolater Banken, und dann ab ins Gefängnis! Das restliche Vermögen wird eingezogen und anderweitig verprasst: Ein selbstverliebter Pausenclown ohne Realitätssinn und wirtschaftlichen Verstand darf den Flughafen von Katan bauen - er versucht es zumindest. Ein pensionierter Bahn-Sanierer, der bereits den bundesweiten Schienentransfer auf dem Gewissen hat, spielt mit seinen gezinkten Karten auch noch mit. Und die Hälfte der Deutschen sorgt sich um die Zukunft von Fernsehmoderatoren, deren Jahresgehalt in den vergangenen zehn Jahren jeden Topmanager erbleichen ließ. Sie könnten eine neue Partei gründen, die GKSP (die Gottschalk-Kerner-Schmidt-Partei). Und sich als Parteiprogramm wirklich interessante Themen rauspicken: Warum wird an der tiefsten Stelle einer geographischen Siedlung kein Brunnen gebaut, sondern ein Bahnhof vergraben? Wie lange noch wird in Griechenland noch immer nach einer Regierung gesucht, bevor sie endlich würfeln? Im Nahen Osten gäbe es alternativ ein paar freigestellte Politiker, die wissen, wie man mit harter Hand ein Land vollends in den Ruin führt. Und was wird aus Carla Bruni, nachdem ihr Mann nicht mehr den Finger auf der A-Bombe hat?
Herr Zuckerberg tut das einzig Richtige: Er zeigt all den Käufern seiner wertlosen Anleihen die lange Nase und tut das einzig Sinnvolle. Er investiert in traditionelle Werte - und heiratet. Sicher benötigt er bald ein neues Domizil für die nachwachsende Spekulanten-, äh, Kinderschar. Ich hätte da einen heißen Tipp für ein paar seiner neu gewonnenen Millionen. Dreitausendquadratmeter Grundstück samt einer denkmalgeschützten Stadtvilla mit geschätzten dreihundert Quadratmetern Wohnfläche. Hier, in Dachau. Seit drei Jahren feil.
Heiße Luft ist in diesem Gebäude garantiert ausgeschlossen, auch mitten im Sommer. Statt dessen wäre ein Pelzmäntelchen sinnvoll (Roman weiß nicht nur, wie man erfolgreich mit Milliarden jongliert, er kenn auch gute Adressen), das Perlacher Forst als hauseigener Holzplatz und in unserer stillgelegten Papierfabrik eine Künstlerkolonie, deren Förderung man steuerlich voll absetzen kann. Vielleicht kommt gar ein neuer Beuys dabei raus. In Dachau waren schon viele berühmte Künstler tätig.
Irgendwie glaube ich, dass ihm diese Idee nicht gefallen würde, dem Herrn Zuckerberg.

Mittwoch, 16. Mai 2012

Verena Becker sagt ... nichts

Alle sind erschüttert und enttäuscht, haben sie sich doch so viel von ihrer Aussage erwartet. Ja, was haben sie denn gedacht, was sie sagt, die Frau Becker? Dass sie auspackt und erzählt, was damals in der RAF vonstatten ging? Wer welches Attentat wann geplant und ausgeführt hat? Hat das wirklich, allen Ernstes jemand geglaubt?
Wir fassen zusammen: Die Mitglieder der Roten Armee Fraktion, kurz RAF, bestanden aus Juristen, Journalisten, Soziologen und anderen Intellektuellen. Das waren keine Checker, die ein bisschen cool sein wollten. Es waren keine ideologisch verwirrten Glatzköpfe, keine religiös fanatischen Turbanträger und keine heiligen Krieger. Es waren Menschen, die ein Problem mit dem Ablauf und der Struktur innerhalb des deutschen Staates hatten. Es waren nicht nur zwei oder drei, es waren viele. Einige haben sich selbst das Leben genommen, andere wurden getötet, ein paar wenige dingfest gemacht. Ausgepackt hat bisher keiner. Warum auch? Warum sollen sie heute erklären, warum sie damals für ihre Überzeugungen gekämpft und getötet haben. Die RAF-Morde sind nicht spontan passiert, sie hatten keinen fremdenfeindlichen Hintergrund, sie waren vielmehr gesellschaftsfeindlich, wenn man so will. Die Opfer wurden nach ihrer Funktion im Staat ausgesucht, nicht nach ihrer Hautfarbe oder ihrer ethnischen Herkunft. Es waren keine spontanen Aktionen, keine Racheakte, keine unüberlegten Handlungen, sondern exakte Gleichungen: mathematische Berechnungen mit genau einer Lösung.
Die RAF ist gescheitert. Die einzelnen Mitglieder und ihre Überzeugungen müssen deshalb noch lange nicht auf den politischen Friedhof. Wenn ich als Erwachsener, als gereifte Persönlichkeit, so weit gehe, dass ich Menschen nach ausgeklügelten Plänen aus einer rein politischen Überzeugung heraus töte, ohne jede Leidenschaft, warum sollte ich danach umkehren und mein Tun bereuen? Das ist unlogisch, ganz egal, ob zehn Wochen, zehn Monate oder zehn Jahre später. Zeit ist relativ. Und wenn ich mir unsere politische Landschaft im Jahr 2012 so ansehe, habe ich nicht das Gefühl, dass alles richtig und rechtens ist, was hier abläuft. Die RAF existierte von 1970 bis in die Neunziger Jahre hinein, offiziell. Warum soll sich ein Mitglied dieser Gruppe, die sich erst vor wenigen Jahren auflöste, Aussagen zu Verbrechen machen, die weder verjährt noch von der Brisanz her vergessen sind? Warum soll jemand eine andere Gesinnung annehmen, wenn er sieht, wie sich Politiker heute bereichern, welche krummen Geschäfte auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen werden, wie viel Schwerverbrecher in Brioni-Anzügen und mit Zigarre im Mund uns regieren?
Die Ziele der RAF war nicht die Eroberung des Mars oder die Rückkehr ins Paradies. Die Opfer waren nicht Schüler eines Sommercamps oder missliebige Arbeitsgenossen. Die RAF ist entstanden, weil Menschen mit der politischen Entwicklung in Deutschland nicht einverstanden waren und nur noch in der Gewalt die Möglichkeit sahen, diese Umstände zu verändern.

Wer diese Schwelle überschreitet, der tut das nicht leichtfertig. Und schon gar nicht, ohne sich über die Folgen im Klaren zu sein. Verena Becker wäre für ihre Überzeugungen gestorben, sie hat wahrscheinlich dafür getötet. Verraten wird sie sie niemals. Keiner.

„Ich habe das Gestern gesehen, ich kenne das Morgen.“
(Inschrift am Grab von Tutanchamun)

Mittwoch, 2. Mai 2012

Time Sharing – gern, aber wie?

Ich leide unter chronischer Zeitnot. Und wer an dieser Stelle „schlechtes Zeitmanagement“ denkt, den bestelle ich ein, vier Wochen lang mit mir zu tauschen. Und anschließend den Begriff mit zehn berufstätigen Müttern, fünf davon alleinerziehend, zu diskutieren.
Kurzum, ich bin hervorragend organisiert. Der Bürostab von Angela Merkel holt sich regelmäßig Tipps von mir.
Ich weiß zwei Wochen im Voraus unseren Speiseplan, die Wartezeiten beim Arzt und welches Kind wann Läuse heimbringen wird. Keine Ahnung, warum in Filmen der Kurzwahlspeicher von Telefonen mit den Nummern von Eltern, Großeltern und dem Metzger besetzt wird. Bei mir sind eingespeichert der ärztliche Notdienst, der Klempner, DHL (weil sämtliche Paketboten Analphabeten aus einem Schwarzen Loch im Universum sind), und der Notruf für psychisch labile, hysterische Frauen. Rein präventiv, versteht sich!
Kindersport, Kindergeburtstage, Geschenke-Kauf für Kindergeburtstage und dergleichen werden Monate voraus fix mit Microsoft Project geplant.
Und trotzdem fehlt sie mir an allen Ecken und Enden und an den Kanten sowieso: die Zeit! Ich komme zu nichts. Ich will eigentlich ein Buch schreiben. Aber ich hänge seit etwa zwei Monaten fest. Nicht aus Mangel an Ideen, sondern weil ich schlichtweg nicht dazu kommen, meine Ideen zur Tastatur zu bringen. Am Klavier saß ich seit etwa fünf Monaten nicht mehr. Seit Weihnachten, um genau zu sein. Nur regelmäßiges Spielen macht Spaß, sonst ist es unerträgliches Geklimper und die Finger tun weh. Wenn ich mal Zeit hätte, besetzt mein Mann den Platz. Oder ein Kind. Oder es ein Uhr nachts. Da schlafe ich.
Mein älterer Sohn hat demnächst Erstkommunion. Da wir in Bayern leben, darf er in Tracht gehen. Als ehrgeiziges Ziel habe ich mir vorgenommen, für ihn und seinen kleinen Bruder Janker zu stricken. Der große ist fertig (immerhin). Der Kleine wird sich wohl noch eine Weile gedulden müssen: bis zum zwanzigsten Mai schaffe ich die zweite Jacke definitiv nicht. Leider! Dabei tragen die beiden so gern die gleichen Sachen.
Dann sind da noch dieser Blog, ein paar Freunde und – um persönliche Kontakte zu pflegen, die ich aus räumlichen und ZEITLICHEN Gründen kaum zu treffen in der Lage bin – wenigstens ab und an ein Blick in Facebook. Meine Geburtstagsmails habe ich fünf Tage später beantwortet. Ich besitze mein Traum-Motorrad. Es ist eine BMW R80 GS, in meinem Besitz seit 19(!)99. Gefahren bin ich damit vielleicht fünftausend Kilometer. Und zwar in den ersten drei Jahren.
Manchmal packt mich die Sehnsucht: dann möchte ich nochmal siebenundzwanzig sein und mit meiner Mühle in den Süden fahren. Ohne Anhängsel und mit ganz wenig Gepäck.
Vielleicht kommt sie irgendwann wieder, die Zeit. Bis dahin versuche ich weiterhin, wenigstens ein bisschen von allem zu machen. Und bedaure ständig, dass ich nicht mehr Gelegenheit habe: meine Freunde zu besuchen, meine Eltern anzurufen, Klavier zu spielen, zu stricken, zu schreiben und und und.

Hat jemand meine Zigarre gesehen? Die, die aus der Zeitblume gedreht ist?
Momo, wo bist du? Rette mich!

Samstag, 21. April 2012

Wa(h)re Kunst

Es gibt Menschen, deren Begabung muss man neidlos anerkennen und sich daran freuen. Ich bewundere Musiker, Schriftsteller und Bildende Künstler, und ganz besonders jene, die außergewöhnlich talentiert sind und mit dieser Gabe das Leben von uns Normalos bereichern. Allerdings reicht großes Talent allein nicht aus. Viel Arbeit ist auch vonnöten. Eigentlich...
Wir befinden uns dank moderner Medien in einer Phase, in der zwölfjährige Teenies allein durch ein paar verwackelte Filme aus dem chaotischen Kinderzimmer zu Millionären werden, und in der Casting-Shows - zumindest in Deutschland - nur existieren, um wehrlose Menschen der Lächerlichkeit anheimzugeben.
Dieter Bohlen verdankt einen Gutteil seines Vermögens der Naivität von Leuten, die glauben, dass Fernsehen echt ist, die für fünf Minuten Ruhm so viel Sangeskunst zeigen wie eine Rabe nach der dritten Stimmband-OP, oder die einfach nur fest daran glauben, dass das ein erfolgversprechender Weg zum Ruhm ist. (Erinnert sich heute noch jemand an "Fame"?)
In Schweden gibt es auch eine Art „Schweden sucht den Superstar“. Mit dem winzigen Unterschied, dass dort Menschen auftreten, die nicht nur singen können, sondern ernsthaft eine Künstlerkarriere anstreben und damit eine gute Basis dafür legen! Eine gewisse Amanda Jenssen hat dort vor ein paar Jahren den zweiten Platz belegt. Leider habe ich ihr Konzert in München vergangenes Jahr verpasst, aber ich hoffe, sie kommt bald wieder. Ich bin mir sicher, wir werden noch viel von ihr hören. Sie kann es einfach. Und sie arbeitet hart.
Ähnliches gilt für Sheryl Crow, Amy McDonald oder Zaz. Diese drei haben etliche Auftritte in Kaufhäusern, Kneipen und auf der Straße (ja, auf der Straße) hinter sich. Es gibt Momente, da ist sie mir ein bisschen unangenehm, die deutsche Staatsbürgerschaft. Könnte bitte mal jemand unseren Teenies sagen, dass es nichts „einfach so“ gibt? Dass es nicht reicht, einen guten Friseur und das richtige Handy zu haben? Und den zugehörigen Müttern auch? Wenn man eine normale Fünfzehnjährige in Ballerinas, Leggins und einem Neon-Netz-T-Shirt (wir schreiben das Jahr 2012) fragt, was sie werden möchte, gibt es meist zwei Antworten: Supermodel oder Superstar. Nachdem die Bild-Zeitung inzwischen erfolgreich alles unterhalb von Superlativen zum absoluten No-Go degradiert hat, kann es keine "gewöhnlichen" Stars mehr geben! Horror-Unfälle, Horror-Kälte, Horror-Bienen, umgeben von Super-Kickern, Super-Helden, oder, Schlagzeile vom 20.04.2012: „Super-Live-Samstagen“. Diese Stars, pardon, Superstars sind auch nicht mehr branchenbezogen, so wie früher! Supermodels sind gleichzeitig Moderatorinnen, Schauspielerinnen sind Kinderbuchautorinnen und Sängerinnen fristen ein zweites Dasein als Ärzte. Alles Superfrauen! Fußballer sind Models, Boxer nebenbei Tänzer und Sänger gleichzeitig Rennfahrer oder sonst etwas, das sich gut auf dem Titel von GQ macht. Das ist sie, die Generation „Justin Bieber“. Wofür zum Henker ist dieser Kinderschokoladen-Bubi eigentlich berühmt? Ich weiß es nicht! Ich gehöre zur Generation Golf: Wir sind die Urheber der Misere, weil Erzeuger dieser Generation, schreck lass nach!
Künstler, die für mich den Star-Statuts innehaben, also so bedeutend sind, dass man sich auch in zwanzig Jahren noch an sie erinnern wird, hatten sie, diese Auftritte in Dorfkneipen und Media-Märkten. Die meisten von ihnen haben in jungen Jahren für wenig Geld viel gearbeitet. Sie haben in Pommesbuden gejobbt (Roxette), sich mit Kaffee rasiert, weil es den umsonst nachgefüllt gab (R.E.M.) und beim örtlichen Rewe-Sommerfest moderiert (Wim Thoelke). Ja, das ist normal. Nein, es ist nicht normal, abends als No-Name ins Bett zu gehen, und am nächsten Morgen reich und berühmt aufzuwachen. Joanne K. Rowling ist keine Sozialhilfe-Empfängerin, die vom Blitz getroffen Harry Potter erfunden hat und tags darauf Dutzende Verleger abwimmeln musste, die ihr die Bude einrannten. Sie entstammt einem Akademiker-Haushalt und hat für die Veröffentlichung ihres Zauberlehrlings sie so viele Klinken geputzt, dass jeder Zeuge Jehovas bis heute ein Bild von ihr im Geldbeutel trägt.
Eine der wenigen Berühmtheiten, die von dieser zähen Anfangsphase verschont geblieben sind, sind die Beatles. Bis auf eineineinhalb der vier Pilzköpfe kamen alle aus sehr gutem, sprich reichem Elternhaus. Das ersparte den Kaltstart in der Fußgängerzone. Oder frei nach Grace Kelly: „We started on the top.“ Immerhin, sie war sich dessen bewusst. Eine kritische Selbstreflexion von John Lennon ist so wahrscheinlich wie ein Mudschaheddin, der sich zu seiner Transsexualität bekennt. Da hätte auch das Erreichen vom Alter des Methusalem nichts geändert. Vielleicht ist das der Grund, warum ich mit der Musik der Beatles nie etwas anfangen konnte: Sie ist mir zu kalt. Genauso wie Justin Bieber, Henna Mondäna und all die anderen, profillosen, hm, ja was eigentlich? Beim Wort Musiker streikt meine imaginäre Feder, ebenso bei dem Begriff Künstler. Andererseits ist es genau das, worum es heute geht: Wir wollen verschaukelt werden. Der Beste gewinnt: der beste Betrüger! Wir sind so manipulierbar, dass es wehtut. Duftdesigner gaukeln uns zehn Jahre alte Neuwagen vor und Photoshop die ewige Jugend, die nur durch ein bisschen Wasser und Seife erzielt werden kann. Wir haben es nicht besser verdient. Wir bezahlen jeden Monat einen Haufen Geld dafür, von vorn bis hinten belogen und betrogen zu werden.
Wenn Sie nicht wissen, was ich meine, schlage ich folgendes Experiment vor: Verzichten Sie vier Wochen lang komplett aufs Fernsehen. Und dann schalten Sie wahllos ins Vorabendprogramm. Zappen Sie ein paar Minuten durch. Und dann wissen Sie, wovon ich rede. Echt!

Und außerdem wünsche ich mir ein Remake von Fame, mit Madonna in der Hauptrolle.

Mittwoch, 4. April 2012

Die Relativität von Zeit, Ort und Geschwindigkeit

Mein sehnlichster Wunsch ist in Erfüllung gegangen: Ich habe einen neuen Job! Sechs lange Jahre in einer großen medialen Seifenblase ohne Substanz, dafür mit viel Glanz und Schmiere liegen hinter mir. Seit meinem ersten Tag (heute war der dritte) staune ich im Minutentakt Bauklötze. Zum Beispiel, weil es Unternehmer gibt, die es schätzen, wenn Mitarbeiter sich zu Abläufen und Problemen Gedanken machen. Weil jeder Mitarbeiter seine Anrufe selbst entgegennimmt. Und nicht zuletzt, weil es warmes Wasser in der Damentoilette gibt.
So weit, so gut. Weniger gefällt mir die Entwicklung im öffentlichen Nahverkehr Bayerns. Die S-Bahn und ich, uns verbindet schon lang eine Hassliebe. Zu viele Pannen, Ausfälle und Verspätungen in den vergangenen zwölf Monaten lassen mich derzeit mit einem Fahrzeugtausch liebäugeln. Dass ich von Dachau nach München meist zehn Minuten mehr benötige als laut Fahrplan vorgesehen, ist normal. Am Montag, meinem ersten Arbeitstag im neuen Job, war ich satte zwei Stunden unterwegs. Start: Dachau Bahnhof. Ziel: Frankfurter Ring, München. Die S-Bahn hatte zwanzig Minuten Verspätung, die U-Bahn fuhr sporadisch etwa alle fünfzehn, dafür war sie brechend voll und man benötigte drei Anläufe, bis der Frust groß genug war, dass man sich mit Einsatz aller zur Verfügung stehenden Leibeskräfte in die Menschenmasse hineinzwängte. Und die abschließende Busfahrt? Rote Wellen und Baustellen sind eigentlich keiner Erwähnung mehr wert . Nett ist es, wenn man die Gespräche der Mitreisenden verfolgt. Wenigstens dadurch weiß ich: Ich bin mit meinem Kummer nicht allein! In der Presse ist ständig zu lesen, wie toll unsere Bahnbosse und Bürgermeister und sonstige Pappnasen alles rund um die Öffentlichen finden, und wie gut die Resonanz bei den Befragungen zur Zufriedenheit stets ausfällt. Ich wurde übrigens noch nie befragt. Wahrscheinlich sind diese Meinungsforscher nachts um halb zwei unterwegs oder Sonntag früh um sieben.
Doch es gibt Hoffnung. Einzelne Tageszeitungen berichten inzwischen über den einen oder anderen S-Bahn-Ausfall, manche gar über die überfüllten Untergrundzüge zu Ostern. Und Welt online verrät mir heute, woran die Probleme der S 2 liegen, und wann Besserung in Sicht ist. Die ICE-Strecke zwischen Nürnberg und München soll im Bereich um Dachau und Petershausen besser ausgebaut werden, damit der ICE dort künftig rund zwanzig Kilometer pro Stunde schneller fahren kann. Voraussichtlich zum Jahr 2014 sollen die Arbeiten beendet sein. Dann ist Otto-Normal-ICE-Fahrer zehn Minuten schneller von Nürnberg nach München. Ist das nicht phantastisch? Applaus, Applaus, Applaus! Rund (!) zehn Minuten Zeitersparnis pro ICE. Übersetzt man das Bahndeutsch in reale Werte, dürfte bis zum Jahr 2016/17 vielleicht Besserung in Sicht sein. Vielleicht auch nicht, denn bis dahin wird Stuttgart 21 eine so gewaltige Baustelle sein, dass alle verfügbaren finanziellen und personellen Kapazitäten der Bahn aus ganz Deutschland abgezogen und in der Schwabenmetropole eingesetzt werden. Und selbst wenn tatsächlich ab 2014 der ICE zehn Minuten schneller von Nürnberg nach München fährt, stehen dem gegenüber tausende von Pendlern in und um München, die unter inzwischen mehrstündigen Verspätungen morgens zur und abends von der Arbeit nach Hause leiden. Nicht nur hier: Auch sämtliche Regionalzüge, andere S-Bahnstrecken und die Stellwerke von hier bis Markt Redwitz sind selbstredend in dieses Bauvorhaben involviert.

Wäre da nicht das warme Wasser auf der Toilette, ich könnte schwören, ich befinde mich in einer Region mit Null komma eins Einwohnern pro Quadratkilometer, in einem Land, wo sieben Tage über zehn Grad Celsius Sommer heißen, wo man für Sonntagsbrötchen einen Privatjet braucht. Vielleicht 65 Grad Nord, 174 Grad West auf unserem Planeten. Oder auch ganz woanders. Jedenfalls in einer Region, wo meteorologische und kulturelle Umstände eine funktionierende Infrastruktur nicht so richtig zulassen. Wissen Sie, was ich meine?

Nachtrag: Heute bin ich mit dem Auto zur Arbeit gefahren. Inklusive Sitzheizung, etwa dreißig Radiosendern, ein paar hundert Liedern auf dem USB-Stick, einer freundlichen Navigatorin, Lordosestütze, Rückfahrkamera, automatisch abblendenden Scheinwerfern, einem Panoramadach mit Blick zur Sonne - und in zwanzig Minuten vom Start zum Ziel. Das Leben kann so schön sein.

Dienstag, 27. März 2012

Eine neue Kolchose für Irina

Erinnern Sie sich an die Zeit, als man sich mit einer richtigen Bewerbungsmappe bewarb? Vorab beim Fotografen Passbilder machen ließ, beglaubigte Zeugniskopien auf dem Rathaus besorgte, und dann alles sauber verpackt in einen Papierumschlag steckte und mit Briefmarke versah? Die Chancen waren gut, dass wenige Tage später eine telefonische Einladung zum Vorstellungsgespräch kam. Das führte der Chef, und wenn alles glatt lief, das heißt, wenn man sich halbwegs sympathisch war, hatte man einen neuen Job.
Das ist lange her.

Die wenigsten U-30er wissen, was DDR bedeutet, ein russischer James Bond ist neidisch auf die Chinesen (wer nicht?), und die Titelseiten von Zeitungen und Magazinen schmücken Menschen, die zwei Wochen vorher keiner kannte und zwei Tage später niemanden mehr interessieren. Private Kontakte bestehen aus Handy- und Internetverbindungen, und die richtige Konfektionsgröße ist wichtiger als die richtige Einstellung.

Wir haben eine weltweite Verbindung untereinander, das Internet. Man bewirbt sich per Mail und nur noch selten per Post. Und gleichgültig, welchen Weg man wählt, meist erhält man keinerlei Reaktion auf die Bemühungen. Die Konsumgesellschaft zieht sich durch alle Bereiche: Die Masse macht‘s. Hauptsache, es geht viel ein. Um danach direkt auf den Müll zu wandern. Unterlagen zurückschicken, damit halten sich heute die wenigsten Unternehmen auf. Obwohl sie zum Teil sogar auf die altmodische Art bestehen, vielleicht um die Ernsthaftigkeit des Bewerbers zu prüfen. In den vergangenen Monaten habe ich mich zweimal bei einem bekannten Bergverein beworben. Ich habe meine Unterlagen säuberlich ausgedruckt, in eine teure Sammelmappe gepackt und klassisch verschickt. Und ward nie mehr gesehen. Vielleicht benötigten sie für ihre Hütten kostengünstiges Toilettenpapier.
Ähnlich verläuft es bei den Unternehmen, die bereits im medialen Zeitalter angekommen sind. Man übergibt seine virtuelle Mappe, mit digitalem Foto und einem komprimierten Lebenslauf. Profis verpacken die Daten so, dass alles präsentationsgleich beim Öffnen aufpoppt. Manchmal, sehr selten, kommt etwa drei Monate später eine eMail zurück. Das große unbekannte Wesen fragt nach, wie denn genau die Vorstellungen sind, finanziell und überhaupt. (Steht ja alles nicht drin, in der Bewerbung. Schon gar nicht auf der ersten Seite.) In seltenen Fällen setzt sich eine lebendige Person (zumindest klingt es so) ans Telefon, und fragt persönlich nach, was in der Unterlagen steht, die keiner liest. Ob man statt der ausgeschriebenen zwanzig Stunden nicht auch vierzig arbeiten könnte. Am besten auch darüber hinaus. Vor allem die Besetzung am  Abend und am Wochenende sei wichtig. Und ob es etwas ausmacht, wenn der Arbeitsplatz doch ganz woanders läge, nicht öffentlich erreichbar sei. Die Frage nach Parkplätzen wird quittiert von mühsam unterdrücktem Lachen. Mangelware. Leider.
Trotzdem bin ich diesen Unternehmen ehrlich dankbar: Dafür, dass sie solche Details ansprechen, bevor ich stundenlang kreuz und quer durch die Stadt fahre, einen Babysitter für meine Kinder organisiere und mich durchgeschwitzt in einen teuren Hosenanzug zwänge.
Den meisten Personalern fallen diese Nebensächlichkeiten frühestens im zweiten Vorstellungsgespräch ein. Wenn sie dann endlich mit dabei sind. Es gibt nämlich erstaunlich viele Personen in einem Unternehmen, die über die Einstellung neuer Kollegen mitbestimmen. Bei meinem jetzigen Arbeitgeber sitzen im Geschäftsführer-Meeting etwa zehn bis fünfzehn Leute. Insgesamt sind dreißig Mitarbeiter fest angestellt. Folglich gehören fünfzig Prozent der Mitarbeiter zur Geschäftsführung.
Im Personalbereich kann man Ähnliches beobachten. Das erste Gespräch führt ein Sachbearbeiter, manchmal auch der stellvertretende Abteilungsleiter, manchmal auch die Sekretärin. Der Abteilungsleiter selbst hat gerade Urlaub, ist in Kur oder unpässlich. „Hätte eigentlich dabei sein sollen, kommt dann in der zweiten oder dritten Runde dazu“, heißt es für gewöhnlich. Die Kollegin, die im Organigramm zufällig ein wenig oberhalb erscheint, sitzt in Polen; alternativ in Finnland oder in den USA. Sie wird ein Telefoninterview führen. Und beim letzten Gespräch ist jemand von der Personalabteilung dabei. Wegen der unwichtigen Details wie Arbeitszeit, Gehalt, Urlaub und Einsatzbereich.
Zwei bis drei Vorstellungsgespräche sind heute die Regel. Auch wenn man sich für Teilzeitstellen bewirbt, die unter zwanzigtausend Euro Jahresgehalt liegen. Wobei Teilzeit niemals ernst gemeint sind. Zwanzig Stunden werden ausgeschrieben, tatsächlich verlangt sind fünfzig bis sechzig Stunden. „Wäre das ein Problem für Sie?“
Nein! Natürlich nicht. Ich heiße in Wirklichkeit Uschi von L, habe ein gut gefülltes Konto, fünfzehn Hausangestellte und keinen anderen Lebensinhalt als Kaffeemaschinen zu putzen und privaten Anrufern zu erklären, dass die Kollegen längst zuhause, in ihrem Fitnesscenter, auf dem Golfplatz oder in der Karibik sind.
Urlaub ist das Unwort schlechthin in einem Bewerbungsgespräch. Allenfalls die Erwähnung eines möglichen Homeoffice kann die Miene des potentiellen Arbeitgebers noch mehr zum Entgleisen bringen. So etwas ist absolut verpönt. Vielleicht ist es die Angst, es könnte jemand seine Arbeit in der tatsächlich angedachten Zeit erledigen. Undenkbar! Nur wer auf einem unbequemen Stuhl in einem Büro weit weg von zuhause sitzt, eine lange Anfahrt hat und ständig Stress, Unruhe und Ablenkungen ausgesetzt ist, ist ein guter Angestellter.
Einzig das Gehalt, etwa fünfzehntausend Euro pro Jahr, ist fix und keinesfalls verhandelbar.
Gut, dass ich fast nicht zwei Kinder habe, dass ich gern an zugigen Bahnsteigen und in überfüllten Zügen bin, dass ich am liebsten achtzig Stunden in der Woche arbeiten möchte und das auch noch umsonst ...

Mist! Die haben mich alle durchschaut.